Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Essen auf Rädern über mich ergehen lasse! Willst du ein bisschen Käse und Birne? Ich hab noch was übrig.»
«Ja, gern.»
Lauras Vater ging zum Kühlschrank, holte den Käse, nahm ein Birne aus der Obstschale, stellte ein Glas Honig vor Laura auf den Tisch und lächelte breit. «Brot auch?»
Laura schüttelte den Kopf. «Ich wollte es nur versuchen, weil ich gute Erinnerungen damit verbinde.» Sie träufelte ein wenig Honig auf den Käse.
«Welche?»
«An den Urlaub mit Angelo.»
«Ah!»
«Ja, ah!»
«Und weiter?»
«Schade, dass er vorbei ist. Findest du nicht, dass die schönsten Zeiten im Leben verdammt schnell vorübergehen?»
«Bemerkenswerte Erkenntnisse hast du heute Abend, Laura!»
«Ach, Babbo. Ich würde jetzt am liebsten eine ganze Flasche Wein mit dir trinken und den ganzen Mist der letzten Woche vergessen!»
«Dann mach es doch und bleib hier! Deine Kinder wollen ausziehen, warum kannst du dir nicht auch ein Stück Freiheit nehmen? Ruf sie an und sag, dass ausnahmsweise du woanders übernachtest!» Lauras Vater nickte ein paarmal bekräftigend zu seinen Worten.
«Warum eigentlich nicht! Auf diesen Gedanken bin ich bisher nur gekommen, wenn ich arbeiten musste. Dabei übernachten meine Kinder ziemlich oft bei Freunden.»
«In diesen Dingen bist du wie deine Mutter, Laura. Ein bisschen zu italienisch treusorgend, oder?»
«Ach, ich weiß nicht, Babbo. Ich denke, es liegt eher daran, dass ich viel arbeite und deshalb immer ein schlechtes Gewissen habe. Außerdem haben meine Kinder eine Scheidung zu verkraften gehabt.»
«Die sie offensichtlich ganz gut überstanden haben. Jetzt ruf sie an und sag ihnen, dass du dich heute Abend mit deinem alten Vater betrinken willst!»
«Ja, ich mach es!» Laura zog ihr Handy aus dem Rucksack und rief zu Hause an. Es war Sofia, die antwortete und meinte, dass Mama ohne Probleme bei Großpapa übernachten könne. Sie wolle ohnehin ziemlich bald ins Bett gehen, weil es gestern so spät geworden war. Luca und seine Freundin würden gerade kochen. Alles paletti!
Ja, dachte Laura. So ist es. Alles paletti! Wahrscheinlich sind sie ganz froh, dass ich heute Abend nicht komme. Ein bisschen irritiert nahm sie das Glas Rotwein entgegen, das ihr Vater für sie gefüllt hatte.
«Gib zu, dass du manchmal am liebsten aus allem aussteigen würdest, Laura.»
«Musst du das jetzt sagen, Babbo?»
«Ja, natürlich muss ich das jetzt sagen. Weil du ausnahmsweise nur an dich gedacht hast.»
«Bist du sicher?»
«Ja, ich denke schon.»
«Vielleicht habe ich auch an dich gedacht.»
«Dann fahr lieber! Und gib den Wein her!» Emilio Gottberg griff nach Lauras Glas, doch sie wich ihm aus.
«Jaja, ich habe an mich gedacht.»
«Gut, dann versuch den Wein. Er ist köstlich.»
Laura nahm einen Schluck, ließ ihn über die Zunge gleiten und sah ihren Vater fragend an. «Was ist denn das? Doch kein Brunello, oder?»
«Nein, kein Brunello. Es ist ein alter Châteauneuf-du-Pape, den ich vor vielen Jahren mit deiner Mutter gekauft habe. Ich sehe das Weingut noch vor mir. Ab und zu trinke ich eine Flasche und denke dabei an die Reise, die ich damals mit deiner Mutter gemacht habe.»
«Erzähl mir davon, Vater.»
Und der alte Gottberg erzählte.
Später am Abend, als Laura sich auf dem Sofa im Wohnzimmer ausgestreckt hatte, versuchte sie noch einmal Angelo Guerrini zu erreichen. Wieder antwortete er nicht. Nur diese unpersönliche Frauenstimme wiederholte ständig auf Italienisch und Englisch, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei. Obwohl Laura sehr müde war, konnte sie nicht einschlafen, lauschte dem leisen Schnarchen ihres Vaters im Nebenzimmer und hatte das sichere Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. In ihr selbst und auch draußen.
Sie hatten sich nicht betrunken, ihr Vater und sie, nur ein winziges bisschen beschwipst waren sie gewesen beim Gute-Nacht-Sagen, und es hatte sich gut angefühlt. Auch das Eintauchen in eine längst vergangene Reise war wunderbar gewesen, hatte Lauras Mutter wieder spürbarer gemacht. Doch jetzt, in der Dunkelheit, empfand Laura eine Art Furcht vor dem nächsten Tag. Es war ein Gefühl, das ihr nicht vertraut war, das sie überraschte. Vermutlich eine Reaktion auf die plötzliche Selbständigkeit meiner Kinder, dachte sie.
Wahrscheinlich. Vielleicht. Oder auch auf die Erkenntnis, dass die guten Zeiten viel zu schnell vorübergingen.
LAURA SCHRECKTE AUF, als ihr Handy klingelte. Es war stockdunkel, und sie
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