Nachtgesang

Sitzen saßen, dass sie zu einer Art mentaler Relaisstation geworden war. Denn während der wenigen Tage, die Liz ihn nun schon kannte, hatte sie eine Art Verbindung mit Jake aufgebaut; es war möglich, dass die Sendetechnik, die sie benutzt hatte, um Bruce Trennier zu verschrecken, sich selbst »repariert« hatte und sich nun in ihrem speziellen Gehirn sehr schnell weiterentwickelte. Vielleicht war das auch ihre Art der Wiedergutmachung: dass sie Jake das Gespräch übertrug. Das Gespräch über ihn. Oder war es etwas, oder jemand ganz anderes?
    Trasks leise Stimme, die fragte: »Aber warum er?«
    Lardis Lidesci: »Ist das Warum wirklich wichtig? Wenn Jake auserwählt wurde, wurde er eben auserwählt.«
    Und Ian Goodly: »Es gibt gewisse Ähnlichkeiten. Vielleicht sollten wir sie nicht leichtfertig übergehen. Ich bin mir sicher, dass mentale Charakteristika – wie Jake denkt – wichtiger sind als sein rein physisches Aussehen. Doch wenn wir ihn ansehen, sehen wir nicht Harry, das stimmt, aber der Necroscope hat einen schweren Stand. Vielleicht sollten wir versuchen, ihn mit Harrys Augen zu sehen. Und es gibt Ähnlichkeiten.«
    Trask: »Was für welche?«
    Goodly: »Zum einen haben sie beide jemanden verloren, den sie liebten. Und diese beiden wiederum wurden ertränkt, ermordet.«
    Trask: »Zugegeben, aber da hört es doch schon auf. Und was den Verlust eines geliebten Menschen angeht, der ermordet wurde, das könntest du auch von mir sagen. Aber wo ist Harrys Bescheidenheit? Wo sein Mitgefühl, seine Wärme? Dieser Jake ... Er ist aggressiv, ein Raufbold, verdorben und wild.«
    Goodly: »Ein Raufbold? Aber unter den richtigen Umständen wäre das ein Pluspunkt – und das war es auch schon. Ein ungeschliffener Diamant, vielleicht. Sicher weiß es der Necroscope besser. Er würde sich doch keinen Schwächling für einen solchen Job aussuchen!«
    Trask: »Aber ein so harter Kerl? Ein Killer, auch wenn er seine Gründe hat?«
    Lardis: »Für mich sind das gute Gründe. Ich mag ihn. Und ich sage es noch einmal, wenn er von Harry Höllenländer auserwählt wurde, dann reicht mir das als Begründung.«
    Trask: »Mir auch ... na ja, bis zu einem gewissen Grad. Also versteht mich nicht falsch – ich stelle nicht die Entscheidung des Necroscope infrage – ich verstehe sie nur einfach nicht. Ich habe das Gefühl, dass Jake nicht nur uns bekämpft, sondern auch Harry.«
    Goodly: »Oh, das tut er, sei dir da sicher! Aber abgesehen von seinem Auftreten und seinem Hang zur Aggressivität gibt es weitere Ähnlichkeiten.«
    Trask, zweifelnd : »Mehr Ähnlichkeiten?«
    Goodly: »In der Tat. Denn Harry glaubt auch an Rache. Erinnert ihr euch nicht? Auge um Auge? Er war noch ein Junge, als er es auf Boris Dragosani abgesehen hatte. Wenn Gleich und Gleich sich gern gesellt – mental gesehen, meine ich –, dann kann ich sehr gut verstehen, weshalb Harry sich zu ihm hier hingezogen fühlte. Es gibt noch etwas, was ihr bedenken solltet: Wenn ihr Jake fest im Team haben und seine volle Konzentration für diese aktuelle Aufgabe haben wollt, könnte es euch beim besten Willen nicht schaden, diesen Luigi Castellano zu finden.«
    Trask: »Und was dann? Zulassen, dass Jake ihn umlegt?«
    Goodly : »Dieser Castellano ist Abschaum und man sollte ihn loswerden – darüber sind wir uns alle einig. Ich denke, dass Jake ihn auf jeden Fall aufspüren wird, und das macht Castellano zu einer Ablenkung. Aber wenn man ihn beiseite schaffen würde ... gäbe es keine Ablenkung mehr. Und wir hätten Jakes Dankbarkeit.«
    Trask, etwas überrascht: »Also so was! Hört euch nur den kaltblütigen Menschen an! Aber du hast recht, kümmern wir uns darum. Interpol und unsere anderen Freunde im Ausland. Wenn wir nur Castellano seiner gerechten Strafe zuführten, könnte das genügen.«
    Goodly: »Nein, könnte es nicht.« (Es fühlte sich an, als schüttle der Hellseher den Kopf). »Erst wenn er tot ist, ist das genug . Du weißt so gut wie ich, was Jake mit den anderen Mitgliedern dieser Gang gemacht hat. Glaubst du wirklich, dass er zufrieden wäre, den Big Boss schön bequem, durchgefüttert und in wohliger Wärme hinter Gittern zu sehen?«
    Lardis: »Na ja, für den Fall, dass ich es noch nicht laut oder oft genug gesagt habe, ich mag Jake Cutter. Und Liz ebenso.«
    Liz, hitzig: »Tu ich nicht! Nun, nicht besonders.«
    Lardis, mit einem Lachen aus vollster Kehle: »Seht ihr?«
    Dann war es eine Weile still, die Dunkelheit nahm zu und Jake gelangte