Nachtgesang
wollte sie nicht gehen lassen. »Was habe ich denn geschrien?«, fragte er schroff, aber es war zu spät. Denn als seine Gedanken klarer wurden, zog sich der Albtraum zurück, löste sich auf.
Dann sah er sich um – sah auf die abgepackten Kisten, das Innere des Helikopters, die Gesichter der Männer vorne, die zu ihm zurückschauten, und wusste wieder, wo er war. Allmählich wich die Angst aus Jakes Augen. Er runzelte besorgt die Stirn. Sein Gesicht war schweißnass, obwohl es nicht wirklich besonders warm war im ... Flugzeug? Im Helikopter, ja. Seine Orientierung war noch nicht vollständig zurückgekehrt und alles fühlte und hörte sich irreal an. Er bemerkte, dass das Zischen der Triebwerke fehlte und nur das spröde Wupp! Wupp! Wupp! der Rotoren zu hören war. Sie mussten an Höhe verlieren und auf Alice Springs zufliegen.
»Ich weiß nicht, was du geschrien hast«, antwortete Liz. »Das meiste von dem, was du gesagt hast, war nur Gebrabbel, bis kurz bevor du aufgewacht bist.« Sie kehrte zu ihrem Sitz zurück und schnallte sich wieder an. »Dann hast du etwas von Szwartz, Malinari und Vavara gesagt. Aber du hast gleichzeitig ziemlich viel gezuckt. Es war ein Albtraum, Jake. Ein mörderischer Albtraum, würde ich mal sagen!«
Ein Mörder. Ja, sie hatte recht:
Ein groteskes Ding – Wamphyri! – seine Krallenhände ausgestreckt, um das Leben aus dem unschuldigen Baby zu saugen.
»Yulian Bodescu!«, platzte Jake heraus und zuckte zusammen, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. »Weiß jemand, wer ... wer Yulian Bodescu war?« Aber diese letzte Szene verschwamm auch bereits und verschwand mit dem restlichen Albtraum im Nichts.
Vorne in ihren Sitzen tauschten Ben Trask und Ian Goodly heimliche, verwunderte Blicke aus, sagten aber nichts ... nicht, bis sie gelandet waren, sich die Beine vertraten und sich auf den Weg zur Lounge und der Bar im Terminal machten ...
Jake und Lardis saßen in der fast leeren Bar, aßen Nüsse und tranken Bier aus großen Gläsern; Liz, Trask und Goodly hatten einen kleinen Tisch, kleinere Getränke und bedienten sich von einem Teller mit Sandwichs. Riesige Deckenventilatoren durchschnitten die abgestandene Luft und machten den Aufenthalt erträglich. Aber selbst die Einheimischen schwitzten in diesem Sommer. El Niño trocknete alles so sehr aus, dass es sich fast entzündete.
Lardis schmatzte beifällig mit den Lippen, seufzte und wandte sich an Jake:
»Das ist wohl einer der wenigen großen Vorteile deiner Welt.« Er bemerkte, wie ihm der Barkeeper seltsame Blicke zuwarf und fügte schnell hinzu. »Äh, von Australien, meine ich. Einer der großen Vorteile Australiens. Die wissen, wie man gutes Bier braut, diese Australier.«
Der Barkeeper schaute Lardis abschätzend an und sagte: »Ich hab den Film auch gesehen, alter Mann, vor langer Zeit, als ich noch ein kleiner Junge war. Aber er hat meinen Modestil nicht beeinflusst!«
»Was?«, fragte Lardis.
»Crocodile Dundee, verdammt noch mal!« Der andere schüttelte den Kopf und verschwand hinter seiner Theke. »Herrgott, was denkt ihr Touristen euch nur? Dass wir alle im verdammten Outback leben?«
Lardis schaute an seinen Klamotten hinunter, auf seinen Echsenhaut-Gürtel, die Machete, die Sandalen aus Bergziegenleder und grummelte. »Hat man gerade versucht, mich zu beleidigen?«, fragte er sich laut.
Aber Jake war mit seinen Gedanken ganz woanders. »Lardis, erzähl mir etwas von Harry Keogh«, bat er. »Ich habe ja gehört, wie Trask über sein Mitleid, seine Wärme, seine Demut sprach, und das lässt ihn klingen wie einen Pazifisten, das musst du zugeben. Aber wenn er so demütig war, wie kommt es, dass er als ein – ein was? – ein Vampir-Schlächter endete? Und ich nehme an, es waren nicht nur Vampire, die er getötet hat.«
»Was Harry Herrenzeugers Vergangenheit in dieser Welt angeht«, antwortete der alte Lidesci, nachdem er sichergestellt hatte, dass der Barkeeper außer Reichweite war, »so kenne ich nicht die ganze Geschichte. Deshalb konnte ich nur über Starside reden. Aber nach dem zu urteilen, was ich von ihm gesehen habe ... nun, ich wäre nicht so sicher, was Harrys ›Demut‹ angeht und sein Mitleid ebenso wenig. Schließlich war Nathan Kiklu auch einmal demütig, vor langer Zeit. Jedenfalls habe ich den Necroscope nur einmal getroffen, gegen Ende, und es war kein besonders schönes Ende ...«
Lardis’ Tonfall änderte sich abrupt, er sah Jake misstrauisch an und blaffte: »Jetzt tu mir einen
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