Nachtgesang
»Oh! Warum ich hier bin? Das ist einfach. Ich erledigte ein paar Aufgaben für die Seher-Forschungsgruppe. Rückblickend denke ich inzwischen, dass es sich um einen Einstellungstest des E-Dezernats handelte. Sie haben noch nichts dazu gesagt, aber ich weiß, dass sie ziemlich verschwiegen sind, bis sich jemand bei ihnen etabliert hat. Jedenfalls war der Job leicht, gut bezahlt und ich brauchte das Geld. Mein Büro befand sich mitten in London; ich interviewte Leute, angeblich für das Mind Magazine, und wenn sie auf einen bestimmten Fragenkatalog die richtigen Antworten gaben, sollte ich mit ihnen arbeiten und eine Reihe von Tests mit ihnen durchführen.« Sie zuckte die Achseln und durch die Scheibe sah Jake, wie ihre Schultern sich kurz hoben, die Bewegung ihres Unterarms, als das Gewicht ihrer vollen Brüste aufgefangen wurde.
»Jedenfalls«, fuhr sie fort, »benutzte ich eine alte deutsche Prismaton-70 für die Tests und ...«
»Eine was?«, unterbrach Jake sie.
»Das ist eine Maschine, die zufällig Psi-Symbole auswählt.«
»Psi-Symbole?«
Liz seufzte. »Fünf verschiedene Zeichen: einen Stern, einen Kreis, ein Quadrat, ein Plus-Zeichen und Wellenlinien.«
»OK, jetzt verstehe ich«, sagte Jake. »Die Maschine wählt ein Symbol aus und der Proband muss raten, um welches Symbol es sich handelt.«
»Ja, außer, dass er nicht raten soll«, erklärte Liz. »Die Probanden sollen sich konzentrieren und versuchen zu wissen, um welches Symbol es sich handelt! Darum geht es beim ESP.«
»Gut, weiter!«
»Nun, am Anfang hatte ich ein paar, die beim Raten einfach Glück hatten ... Sie schafften zwei oder drei korrekte Symbole hintereinander, und ich war schon ganz aufgeregt. Aber langfristig führte es nie zu etwas. Ich war enttäuscht, weil, weißt du, ich wollte Geld verdienen.Aber damit ich Erfolg haben konnte, mussten logischerweise meine Probanden ebenfalls erfolgreich sein. So ertappte ich mich dabei, dass ich wünschte, sie würden richtig liegen. Jemand sagte: ›Quadrat!‹, und ich sprach zu mir selbst: ›Nein, nein, nein! Es sind die Wellenlinien!‹ Bis ich schließlich den Punkt erreichte, an dem ich sagte: ›Nein, das ist falsch.‹ oder, wenn jemand Glück gehabt hatte: ›Ja, das ist richtig‹, und zwar bevor sie mir mitteilten, für was sie sich entschieden, noch bevor sie überhaupt sprachen!«
»Lass mich raten!«, sagte Jake. »Du wusstest nicht, was vor sich ging. Du dachtest, dass entweder du unrecht hattest oder die Maschine – die, äh, Prismaton-70? – dir Streiche spielte oder ...«
»Aber die Maschine konnte es nicht sein«, unterbrach Liz ihn, »denn es ist nur eine Maschine.«
»... Oder, dass du selbst«, fuhr Jake fort »irgendwie ›in Verbindung‹ mit deinen Probanden stehen musstest. Durch mentale Telepathie?«
Sie nickte. »Es ging um mich selbst. Es waren nicht meine Probanden, von denen ein unglaublich hoher Anteil richtig gut im Senden war – was im E-Dezernats-Jargon ein anderes Wort für telepathisches Übertragen ist –, sondern ich war gut im Empfangen. Ich war ein Empfänger, ein Gedankenleser. Ich konnte ›Verbindung aufnehmen‹ zu den Gedanken anderer, ja. Nicht immer und auch nicht ohne viel Anstrengung und Konzentration, aber doch zumindest manchmal.«
»Und das ist dir vorher nie aufgefallen?« Trotz der Geschehnisse dieser Nacht – der Tatsache, dass er selbst mitbekommen hatte, dass sie einen offensichtlichen Einfluss auf Trennier hatte – war Jake noch immer etwas skeptisch. »Ich meine, dass du wusstest, was die Leute dachten?«
Sie grinste. »Nun, ich wusste oft, was Männer dachten! ...« Langsam verschwand ihr Grinsen. »Nein, mal im Ernst, ich hatte überhaupt keine Ahnung. Aber sobald ich es dann wusste, war es wie bei Topsy aus Onkel Toms Hütte.«
»Es wuchs und wuchs ...« Jake dachte darüber nach.
»Und dann kamst du«, sagte Liz spitz. Er reagierte nicht darauf und schaute einfach weg.
Es kam keine beißende Seife mehr auf sie herunter, sondern nur klares, kaltes Wasser. Gerade kurz bevor sie hätten anfangen können, sich zu beschweren, schaltete das System sich ab und ein Licht begann auf der Sprechanlage zu leuchten. Es war Trask, der wissen wollte: »Seid ihr fertig? Gut! Also raus mit euch und macht Platz für die Nächsten.« Das restliche Team, jeder von ihnen, musste nur einen weniger intensiven Reinigungsprozess über sich ergehen lassen. Aber Jake und Liz waren noch nicht fertig.
Je ein trockener Bademantel löste sich
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