Nachtgesang
Gegner sich nur so brutal verhalten haben, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Er hat sogar Bücher über Anstandsregeln beim Erstkontakt geschrieben. Deshalb sind wir in Millers verzerrter Wahrnehmung leider diejenigen, die keine Manieren besitzen.
Es zählt nicht, dass unsere ›Außerirdischen‹ stinkende, mörderische Vampire aus einer Parallelwelt sind; Miller in seinem Wahn würde das nie für möglich halten. Er glaubt kein einziges Wort von dem, was ich ihm gesagt habe, glaubt wahrscheinlich nicht einmal, dass sie Vampire sind. Aber er denkt, dass er mit ihnen reden kann ...
Nun, das allein ist eigentlich kein Problem. Seine eigenen Leute können ihn im Auge behalten, ihn einsperren oder was auch immer sie für notwendig erachten, um ihn wie den Idioten, der er ist, dastehen zu lassen, falls er mit seinen ›verrückten Geschichten‹ über uns an die Presse geht oder sie anderen Sensationsgeiern auftischt. Als ich also herausgefunden hatte, dass er abgehauen war, war ich in gewisser Weise sogar erfreut darüber. Zumindest konnte er mir nicht mehr auf den Wecker gehen. Ja, aber das war, bevor ich entdeckte, was er mit sich genommen hatte.
Leute, unsere Lokalisierer haben letzte Nacht in der Londoner Zentrale, unter der Leitung von David Chung, ein neues Zielobjekt gefunden: Sie entdeckten einen bis jetzt unbekannten Gedankensmog auf der anderen Seite des australischen Kontinents. Er war nur einen Moment lang da – sagen wir es so: Jemand ließ einen Augenblick lang seine mentale Abschirmung sinken –, aber es war unverkennbar die Handschrift eines Wamphyri-Lords. Ich rede von einem Lord, ja. Wir müssen bedenken, dass die Kreatur, gegen die wir letzte Nacht gekämpft haben, Bruce Trennier, nur ein Leutnant war – ein Vampirknecht eines Lords –, der von seinem Herrn und Schöpfer, aus welchem Grund auch immer, zurückgelassen wurde.
Okay, dieser Gedankensmog: Er wurde just in dem Moment entdeckt – und ich meine genau in dem Moment –, als wir mit Trennier fertig wurden. Nun, wir wissen, dass viele Wamphyri mächtig genug sind, um mit ihren Knechten mittels Telepathie zu kommunizieren, auch über größere Entfernungen hinweg, deshalb ist es möglich oder sogar wahrscheinlich, dass Trenniers unbekannter Gebieter den Tod des Leutnants ›gefühlt‹ hat und es ihn so überraschte oder verblüffte, dass er seinen Schutzschild sinken ließ, wenn auch nur für einen Moment. Vielleicht hat er es sogar absichtlich getan, um einen besseren Kontakt mit Trennier herzustellen und herauszufinden, was passiert ist. Was unsere Leute in London anbelangt, sie hatten Glück; jemand schien zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu suchen und deshalb entdeckten sie die ›Aura‹ des Großen Vampirs.
Selbstverständlich hat Chung mir diese Information nur weitergegeben, damit sie dieser verdammte Peter Miller abfangen konnte! Mir ist es jetzt scheißegal, ob er mit den Medien oder sonst jemandem spricht. Aber was mir ganz und gar nicht egal ist, ist, dass er gerade dabei ist, einer der schlimmsten Bedrohungen, die die Welt je gesehen hat, eine Warnung zukommen zu lassen ...
... eine Warnung, dass wir auf dem Weg sind, um diese Bedrohung aus dem Weg zu schaffen!«
KAPITEL ZEHN
DIE VAMPIR-AKTE
Als alle bis auf Jake und Liz das Zelt verlassen hatten, öffnete Trask seine Aktentasche und ließ eine dünne Akte auf den Tisch fallen.
»Lesen Sie das!«, befahl er Jake. »Es wird Sie eine Weile beschäftigen, denn es kann sein, dass wir hier etwas länger bleiben als erwartet. Ich vergaß, dass wir Grahame noch nach Hause zurückfliegen müssen. Obwohl er jetzt bereits auf dem Heimweg ist, wird es noch drei bis dreieinhalb Stunden dauern, bis der Hubschrauber zurück ist. Aber andererseits möchte ich ja auch, dass das E-Dezernat zusammenbleibt, und deshalb ist es vielleicht ganz in Ordnung so. Wir haben dadurch mehr Zeit, uns vorzubereiten – unsere Gedanken zu sammeln – und dafür bin ich dankbar. Ich hasse es, etwas anzufangen, ehe ich es gründlich durchdacht habe.«
Er schaute Jake eindringlich an. »Diese Akte ist auch Ihre Chance, das Ganze gründlich zu durchdenken. Sehen Sie, ich möchte niemanden im E-Dezernat, der hier nicht hineinpasst oder der gar nicht hier sein möchte. Wenn Sie sich also entschließen sollten, uns zu verlassen, brauchen Sie sich keine Sorgen darüber machen, dass ich Sie dem Arm des Gesetzes ausliefere. Das ist nicht meine Art. Ich würde lediglich keine Verantwortung für Ihr
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