Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Entweder hatte sie nichts von dieser dunklen Macht begriffen, oder sie war mutiger, als gut für sie war. Die Bestürzung in ihren Augen wies auf Letzteres. Nun zog sie die Hand, die eben noch auf seiner Wange geruht hatte, zurück, um ihre aufgeschürften Knie zu betasten. Obwohl ihm kein körperliches Leid geschehen war, wurde Adam schwarz vor Augen, als er sich aufrichtete. Schweigend saßen sie nebeneinander, während die Sonne im Zenit stand und das träge fließende Wasser zum Glitzern brachte.
»Das ist nicht gut«, stellte sie schließlich fest, die Stimme nicht mehr als ein Flüstern.
Adam schüttelte den Kopf. »Nein, das ist überhaupt nicht gut. Dieser Leichnam dürfte eigentlich gar nicht existieren. Ich habe immer wieder erlebt, dass der Dämon sämtliche Gefahren, selbst eine Feuersbrunst oder einen Aufprall aus enormer Höhe, überwindet, solange der Körper nicht vollständig aufgelöst worden ist. Was auch immer auf diesem Hinterhof passiert ist, widerspricht der ersten Regel, die für unsereins gilt: Was der Dämon einmal in Besitz genommen hat, gibt er niemals wieder freiwillig auf.«
»Aber Nia ist doch tot, oder etwa nicht?«
»Sie verwest bereits, wenn auch nur sehr langsam. Als wäre ihr mit dem Blut auch der Dämon genommen worden.« Je länger Adam darüber sprach, desto klarer wurde ihm, wie außergewöhnlich
sein Fund war. Er musste noch einmal hineingehen und sich den Leichnam genau ansehen, nach irgendeinem Anhaltspunkt suchen. Seinen ganzen Mut zusammennehmend, sah er zu dem Verschlag hinüber, da drohte der Dämon bereits erneut aufzubrausen.
Nie wieder, setz mich diesem Anblick ja niemals wieder aus. Einen solchen Frevel ertrage ich nicht.
Mit einem gepeinigten Stöhnen schlug Adam die Augen nieder. Zumindest gelang es ihm schließlich, die widerspenstige Tür des Verschlags zu schließen. Zitternd, als hätte er eine ganze Felswand in Bewegung gesetzt, hielt er auf Esther zu, die ihm sogleich einen Arm um die Taille legte und so sein Schwanken milderte.
»Lass uns zusehen, dass wir irgendwie diesen verdammten Abhang hinaufkommen«, brachte er mit rauer Stimme hervor. »Dann fahre ich dich zu deinem Apartment, ehe ich Anders einen Besuch abstatte.«
»Ich werde dich begleiten, allein schon, damit Anders weiß, dass ich meiner Pflicht nachkomme. Wie sieht das denn aus, wenn du ohne mich in seinem Haus erscheinst? Als hätte ich mich so dumm angestellt, dass du mich gleich wieder loswerden wolltest.«
»Dann ruf ihn an und erstatte ihm Bericht, falls du dich dann besser fühlst.«
Esther zögerte. »Das wäre nicht richtig. Wie soll ich mich denn verhalten, wenn er mir Fragen darüber stellt, was wir gefunden haben? Wenn wir beide vor ihm stehen, wird er dir die Führung überlassen. Dann kannst du entscheiden, wie viel du ihm erzählen willst. Es wäre angesichts der Lage doch sicherlich nicht klug, ihm von Nia zu erzählen, bevor du mehr darüber herausgefunden hast, was ihr zugestoßen ist. Dieser Fund ist doch zu ungeheuerlich. Anders könnte falsche Rückschlüsse ziehen wegen Rischka …«
Der Blick, mit dem Adam sie bedachte, ließ sie verstummen.
»Du hast Recht: Ich erwarte von dir, dass du Stillschweigen bewahrst. Leg dir eine überzeugende Ausrede zurecht, wie wir den Vormittag verbracht haben.Aber erwähne mit keinem einzigen Wort den Hinweis, dem wir nachgegangen sind - oder gar unseren Fund. Er hat nichts mit demjenigen zu tun, nach dem wir suchen. Das ist mir jetzt klargeworden. Du bist doch ein kluges Mädchen, dir fällt schon was ein.«
Adam verwandelte sein Gesicht in eine ausdruckslose Maske. Denn was er gleich zu sagen gezwungen war, würde ihn mindestens genauso verletzen wie Esther. Nachdem der Dämon ihm jedoch vor Augen geführt hatte, dass er seine Nähe zu Esther nicht länger tolerieren würde, blieb ihm nichts anderes übrig. Vor allem nicht, da er wirklich etwas für die Frau an seiner Seite empfand.
»Ich werde mir jetzt allein mindestens eins der Blutopfer von deiner Liste genauer anschauen. Das hätte ich gleich tun sollen, anstatt diesen Umweg zu nehmen. Wer auch immer dem Dämon geopfert hat, wird seinen Muskatgeruch an der Leiche hinterlassen haben. Das heißt, eigentlich gehe ich davon aus, gar keinen Geruch zu finden.«
»Keinen Muskatgeruch?«, hakte Esther verwirrt nach. »Aber du sagtest doch, dass du den Dämon riechen kannst.«
Adam schüttelte lediglich den Kopf, um anzudeuten, dass er diesen Punkt nicht weiter verfolgen
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