Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
ausgezehrtes, aber dennoch stolzes Vieh, dessen Muskeln sich bei jeder Bewegung unter dem Fell abzeichneten. Der Kater hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn sie ihn bei der
Jagd beobachtete, solange sie ihm dabei nicht in die Quere kam. Trotz des Hungers hatte er sich beim Jagen gern Zeit gelassen, die Beute eingekreist und ein grausames Spiel mit ihr getrieben, dem Esther mit Abscheu und Faszination beigewohnt hatte. Wenn dieser Kater hätte lächeln können, wäre es Adams Lächeln bestimmt sehr nahe gekommen: konzentriert und gleichgültig zugleich, mit einer Prise Selbstgefälligkeit. Sie traute diesem Ausdruck nicht über den Weg. Sie hatte gesehen, wie der Kater, eben noch träge auf der Seite liegend, urplötzlich vorspringen und seine Beute im Genick packen konnte.
Nur, dass die Beute, die dieser Schuppen zu bieten hatte, bereits tot war, während Adams Jagdtrieb an Lebendigkeit kaum zu übertreffen war.Was, wenn er sich auf ein anderes Ziel konzentriert?, fragte Esther sich, plötzlich von Bedenken heimgesucht. Bislang hatte sie in Adams Gegenwart nie die Furcht verspürt, er könne ihr etwas antun. Aber der Mann vor ihr war nicht der Adam, der hitzige Wortwechsel liebte und seine Gefühle hinter einer ausdruckslosen Maske versteckte, um nicht verletzt zu werden. Dieser Mann war reiner Instinkt, und das machte ihn fast so gefährlich wie der Dämon in seinem Inneren.
Adams Nasenflügel bebten leicht, und sein Lächeln verwandelte sich in einen harten Strich. »Du brauchst dir in meiner Gegenwart keine Sorgen darüber zu machen, dass du dich in Dämonenfutter verwandeln könntest.Wenn du mir nicht traust, dann kannst du dich wenigstens auf mein Wort verlassen, das ich Anders geben habe: Ich habe ihm nämlich versprochen, gut auf dich achtzugeben.Außerdem würde mein Dämon sich weigern, dein Blut anzunehmen. Er ist nicht gerade begeistert von dir.« Er hielt inne und strich sich das Haar aus der Stirn. »Was dich mir, ehrlich gesagt, ausgesprochen sympathisch macht.«
Kurz zögerte Esther, weil Adam zum Du übergegangen war, aber dann fiel ihr ein, dass sie ja damit angefangen hatte. Sie war
diesen Schritt auf ihn zugegangen. Genau in dem Moment, in dem er sich zurückgezogen hatte.
»Du sprichst von deinem Dämon, als wäre er eine Art Auftraggeber, den du nicht ausstehen kannst. Ich habe von Anders gehört, dass der Dämon in dir einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen hat, aber dass ihr so entzweit seid …«
»Nicht mehr lange, denn dein Herr Anders kann dieses Problem allem Anschein nach beheben. Für meinen Dämon wird es sicherlich einer Erlösung gleichkommen, wenn die Reste von meiner menschlichen Seite endlich getilgt sind.«
»Willst du das denn? Ich meine, dich auslöschen lassen? Ausgerechnet jetzt …«
Adam sah Esther nur undurchdringlich an, dann wandte er sich dem Verschlag zu. »Ich rate dir, draußen zu bleiben. Aber du neigst ja dazu, deine eigenen Entscheidungen zu treffen, anstatt auf mich zu hören.« Als sie ihm tatsächlich folgte, schüttelte er den Kopf, eine beinahe belustigte Geste. »Es fällt mir zunehmend schwer, nachzuvollziehen, wie Anders sich bloß für dich als Dienerin entscheiden konnte.«
»Weil ich gut bin.«
»Ja, aber die entscheidende Frage ist: gut in was? Im Dienen jedenfalls nicht. Das würde ja Eigensinn ausschließen.«
Esther ließ sich nicht zu mehr als einem Schnaufen herab.
15
Tempelruinen
Das Licht im Verschlag war bestenfalls dämmrig, obwohl Adam die Tür sperrangelweit aufstemmte - was gar nicht leicht war, denn sie verkantete sich im Lehmboden. Neugierige Spaziergänger, die einfach mal einen Blick ins Innere werfen wollten, würden an dieser Stelle vermutlich schon aufgeben, stellte er fest. Die Spur war überraschend gut verwischt worden, viel zu gut im Vergleich zu den Opfern auf Esthers Liste, die mit großer Leidenschaft präsentiert worden waren. Immer stärker beschlich ihn der Verdacht, dass hier ein anderer seiner Art die Reste der Opferung verborgen hatte, zweifelsfrei mit dem Wunsch, dass sie nicht gefunden wurden.
Mit bloßen Händen räumte Adam rostigen Stacheldraht zur Seite, unter dem ein Haufen Latten lagen. Seine Sinne verrieten ihm überdeutlich, dass sich ein Körper unter dem Holz befand, auch wenn der Leichengeruch verwirrend gering ausfiel. Eigentlich nahm er fast nur getrocknetes Blut und den verräterischen Dämonengestank nach Muskat wahr, der unerklärlich stark war. Fast, als läge einer seinesgleichen unter
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