Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Hunger, und seine Lippen bewegten sich, ohne dass ein Laut zu hören war. Adam verstand ihn auch so.
Sprich eine Einladung aus, damit ich meinen Hunger stillen kann, forderte er.
Panik brach in Adam aus. Die Vision war so echt und bedrohlich, dass er kaum an sich halten konnte. Ein verzweifelter Schrei brach aus, und es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass er von seinem Dämon stammte.
Nein, dazu will ich nicht werden, klagte er. Ich werde meinen Tempel nicht aufgeben, um mit den anderen zu einem zu verschmelzen. Ich bin ich.
»Ganz meine Rede«, erwiderte Adam mit belegter Stimme, während er seine Finger lockerte, die den Telefonhörer umfasst hielten, als wollten sie ihn in seine Bestandteile zerlegen.
Immer noch stand ihm der ungezügelte Hunger gepaart mit einer erschreckenden Macht des Wesens vor Augen. Die Bezeichnung Gottheit ist vielleicht doch gar nicht so schlecht gewählt, gestand Adam sich ein, während ein wildes Lachen seine Kehle hinaufzusteigen drohte. Er schloss die Augen, bis sie zu tränen begannen, doch das Spiegelbild hatte sich auf seiner Netzhaut eingebrannt. Reiß dich zusammen, fuhr er sich selbst an. Das hier ist erst der Anfang vom Ende. Jetzt weißt du wenigstens, was gespielt wird.
»Adam?«, hörte er Etiennes aufgeregte Stimme. »Adam, bist du noch da? Sag doch was, mein Junge.«
»Um die Entwicklung von Anders’ Gabe brauchen wir uns allem Anschein nach keine Sorgen mehr zu machen. Es sieht nämlich ganz danach aus, als ob er sie bereits zum Einsatz gebracht hat. Ich habe einen verlassenenTempel gefunden, Etienne. Wohin geht ein Dämon wohl, der kein Haus mehr hat, das ihn in dieser Welt hält?«
»Zu Anders, weil er die einzelnen Splitter des Dämons wieder zusammenfügen kann.«
Wieder eins werden, aufgehen im Ganzen, eine Einladung, die man nicht ablehnen darf. Aber ich werde sie ablehnen, ganz gleich, wie zwingend sie ist. Ja, das werde ich! , sagte der Dämon und wiederholte die Sätze wie eine Art Losung, von der er selbst nicht recht überzeugt war.
»Du musst sofort die Stadt verlassen, Adam. Du magst dich Anders vielleicht entziehen können, das heißt aber noch lange nicht, dass du ihm gewachsen bist. Komm zu mir, und wir werden seine Schwester gemeinsam aufsuchen. Ich kann den Weg zu ihr finden, nachdem sie ein Mal zu mir gekommen ist. Es ist ihre Aufgabe, sich Anders zu stellen. Sie ist sein natürliches Gegengewicht.«
»Nichts lieber als das.« Adam rieb sich immer noch die Augenlider, hinter denen das Abbild des wiederauferstandenen
Dämons aufblitzte. »Ich kann bloß nicht so ohne weiteres von hier fortgehen.«
»Wenn es wegen Rischka ist …«
»Ich habe eine Frau kennen- und lieben gelernt, Etienne. Anders hat etwas gegen sie in der Hand, womit er sie zum Bleiben zwingen kann. Und wenn sie bleibt, bleibe ich auch.«
»Adam!«, schrie Etienne aufgebracht, wobei sich seine Stimme vor Furcht überschlug. »Adam, du kannst auf keinen Fall bleiben, du musst sofort …«
Doch da hatte Adam bereits aufgelegt. In die Kabine hatte sich ein zarter Apfelduft geschlichen. Draußen an der Rezeption wartete Esther auf ihn. Das war alles, was für ihn zählen durfte.
35
Ein Zeugnis von Ergebenheit
Esther hatte auf einem Sofa Platz genommen. Dieselbe anmutige Körperhaltung wie damals, als Adam ihr im Fin de siècle zum ersten Mal gegenüberstand.
Damals , wiederholte Adam kopfschüttelnd. Es mag sich zwar so anfühlen, als wäre sie bereits seit einer Ewigkeit an meiner Seite, aber es sind letztendlich doch nur ein paar Tage. Und trotzdem fühle ich mich ihr derart verbunden. Nein, ich werde mir diese Liebe auf keinen Fall nehmen lassen, nicht vom Dämon und erst recht nicht von Anders, versprach er sich selbst, während er auf Esther zuging. Dieses Mal entscheide einzig und allein ich über mein Schicksal.
Als er in Esthers Blickfeld geriet, verharrte er jedoch. Ihr Ausdruck war prüfend und für seinen Geschmack viel zu distanziert. Das erinnerte nun doch zu sehr an ihr erstes Zusammensein. Zu seiner Enttäuschung hatte sie die Spuren ihrer Liebesnacht abgewaschen, er rief sich jedoch sogleich ins Gedächtnis, dass es für ihn zweifelsohne besser war. Auch so konnte er sich in ihrer Nähe kaum über den Weg trauen. Das Gespräch mit Etienne hatte eindrucksvoll bewiesen, dass er, seit er Esther begegnet war, an nichts anderes mehr denken konnte. Das Netz aus Spuren um Anders hatte weit ausgebreitet vor ihm gelegen, und er war lediglich darüber
Weitere Kostenlose Bücher