Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
verpassen.«
Zu Adams Glück begriff Anders zu spät, dass er keineswegs beabsichtigte, ihn anzugreifen. Ganz im Gegenteil. Schon einen Moment später fanden Adams Finger das Stück nackte Haut über Anders’ Hemdkragen. Sofort baute sich die Magie der Gabe zwischen ihnen auf, verband sie beide auf eine Weise miteinander, der sie nicht widerstehen konnten.
Tief in seinem Inneren hörte Adam seinen Dämon einen entzückten Seufzer ausstoßen, dann spürte er, wie sein Wille von einer sanften Welle fortgespült wurde. Es gab nur noch das Versprechen von Anders’ Gabe, das süßeste Versprechen, das ihm jemals gegeben worden war.
So langsam, wie es sein geschundener Körper zuließ, zog er sich an dem vor ihm knienden Anders hoch, der sein eigentliches Ansinnen vollkommen vergessen hatte.
Nur noch einen Augenblick, dann würde sein Mund eine Einladung aussprechen. Das war das Einzige, was noch zählte.
Rischkas Zungenspitze, die nach dem Blut auf ihren Lippen leckte, war genauso bedeutungslos wie Adalberts Schatten, der sich auf ihn zubewegte.
Gleich würde er verloren sein und sein Dämon die Herrschaft an sich reißen.
Verloren …
Kaum war die Verbindung zu IHM hergestellt, weitete sich sein Gefängnis. Es war, als würden die Wände fortspringen, während der erste Sonnenstrahl nach Tausenden von Jahren sein Antlitz berührte. Mit einem Seufzer wandte er sich der Machtquelle zu, die ihm den Weg aus der Dunkelheit wies und ihn mit jedem Schritt, mit dem er sich ihr näherte, stärker machte.
Dabei schmolz das aufdringliche Subjekt namens Adam, das stets die Kette an seinem Bein gewesen war, gleich einem Stück Eis. Noch schillerte er wie ein Diamant, aber nicht mehr lange, dann würde nichts mehr an ihn erinnern.
Er verharrte.
Jetzt war nicht der rechte Moment, um zu zögern, schalt er sich. Es fehlte nur ein winziges Stück des Weges, dann gehörte sein Tempel endlich ihm allein. Kein lästiger Vermieter würde mehr da sein, der seine eigenen Pläne verfolgte.
Je stärker er wurde, desto heller brannte er und verzehrte alles, das sich ihm in den Weg stellte.
Sein Traum, das einzige Ziel, das er kannte, war zum Greifen nah. Und trotzdem verharrte er.
Du weißt auch, warum, gestand er sich widerwillig ein. Sobald der Quälgeist erlöscht, wirst du IHM nicht widerstehen können, wenn ER dich zu sich ruft. Die Freiheit wäre von sehr kurzer Dauer, wenn ER dich zu sich nimmt. Im Ganzen besteht der Einzelne nicht mehr.
So überwältigend und großartig das Ganze auch sein mochte, nur ein Splitter zu sein, war vielleicht auch gar nicht verkehrt. Zumindest wusste man, dass man ein Splitter war.
Während er sich selbst für diese Erkenntnis hasste, kehrte er widerwillig in die Dunkelheit zurück, wohl wissend, dass sich nie wieder die Möglichkeit anbieten würde, den Kerker zu verlassen. Denn wenn man sich auf eine Sache verlassen konnte, dann auf die Rachegelüste des Quälgeistes. Er würde wissen, wie man die Sonne für immer zum Erlöschen brachte.
39
Scherbenhaufen
Von Angesicht zu Angesicht fand Adam sich mit Anders wieder, verwirrt und von einer Erregung ergriffen, die sich nur schwerlich wieder abschütteln ließ. Auch Anders schien vollkommen entrückt zu sein, den Mund zum einladenden Kuss geöffnet. Einem Kuss, den Adam ihm in diesem Moment nicht einmal dann gegeben hätte, wenn er gezwungen wäre, das Elixier bis zur Neige auszutrinken, das Rischka von Adalbert gestohlen hatte.
Nervös leckte Adam sich über die Lippen und brachte seine Finger dazu, den Nacken des Mannes frei zu geben, obwohl sein Körper unablässig nach der Berührung verlangte, ausgelöst von dem betörenden Muskatduft, der Anders stärker als je zuvor umgab. Allerdings war es nur sein Körper, der so überschwänglich reagierte, während von den verzückten Lauten des Dämons nichts mehr zu hören war. Der schwieg so vollkommen, als gäbe es ihn gar nicht mehr. Er musste seine Chance nutzen, sofort!
Als Adam jedoch abrückte, bohrte sich die Klinge erneut in seine Lunge. Keuchend lehnte er seine Stirn gegen Anders’ Brust, der ihn in seiner Verklärung in die Arme schloss. Qualvoll, als müsse er an dem anziehenden Muskatduft ersticken, drehte Adam den Kopf, zu schwach, der Umarmung zu entkommen. Neben ihm stand Adalbert, und seine Augen funkelten vor Neugierde. Sein Gesicht war mit rot leuchtenden Flecken überzogen, wo es mit dem Trockeneis in Berührung gekommen war.
»Der Kuss, die Einladung des Dämons,
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