Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
würde Adam bald eintreffen.
Obgleich er ihr das letzte Mal einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte, wünschte sie sich sehnlichst, ihm allein zu begegnen. Sie wollte ihm ein Angebot unterbreiten, eins, das Etienne, der sich bereits während des ganzen Abends so merkwürdig verhielt, vielleicht untergraben würde. Dass er den jungen Mann mochte und sich für ihn verantwortlich fühlte, überraschte sie keineswegs. Genau das machte Etienne ja zu etwas Besonderem. Für gewöhnlich hätte sie sich über eine solche Neigung amüsiert, aber in diesem Fall lagen die Dinge anders: Sie war selbst an Adam interessiert. Oder vielmehr an seinem Beherrscher, der einen so ungewöhnlichen Weg eingeschlagen hatte.
Normalerweise ging Rischka mit ihresgleichen nur Zweckbündnisse ein, so wie mit den Zwillingen, die in ihren Augen nicht mehr als ein Wachhundgespann waren. Sie belohnte sie für ihre Dienste großzügig - mit Opfern, in denen das Leben lauter toste als ein Wasserfall. Zwar hätte es für Rischka keineswegs ein Problem dargestellt, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, aber es widersprach ihrer Natur. Ihr Talent beruhte auf ihrer
Anziehungskraft und auf ihren Verführungskünsten. Jemanden gewaltsam von sich zu weisen, wäre da ein zu großer Widerspruch gewesen.Außerdem lockte sie mehr Blut an, als sie selbst aufnehmen konnte - warum also nicht teilen?
Plötzlich wurde sie sich Etiennes Blick bewusst, der auf ihren Händen ruhte. In Gedanken versunken, hatte sie das venezianische Messer aus seinem Samtkuvert hervorgeholt und es über ihre Handfläche gleiten lassen. Die vollendet glatte Oberfläche der kristallenen Klinge war der vertrauteste Gegenstand, den sie besaß. Sie hatte nichts als Verachtung dafür übrig, wenn andere ihr stumpfes Gebiss einsetzten, um an die Opfergabe zu gelangen. Und Stahlklingen wohnte etwas Ordinäres inne, einmal davon abgesehen, dass sie fleckig wurden. Ihr venezianisches Messer jedoch war wunderschön gearbeitet, ein wahres Schmuckstück, das von all den Opfergaben genauso unberührt blieb wie sie.
»Erinnerst du dich noch an meinen Liebling?«, fragte sie Etienne, von dem plötzlichen Wunsch getrieben, herauszufinden, was ihm wohl durch den Kopf gehen mochte. »Ich habe dir diese Klinge überlassen, als mein Dämon dich eingeladen hat.«
Kurz bekamen seine hageren Züge einen warmen Ausdruck, als ihn die Erinnerung einholte, wurden aber sogleich wieder undurchdringlich. »Ich habe mich immer gefragt, ob die Kristallschneide nur den Geschmack deines Blutes kennengelernt hat. So, wie du sie liebkost, vermute ich einmal, dass sie viele Adern durchtrennt hat. Gewiss nicht nur solche, die sich wie von Geisterhand wieder schließen.«
»Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass du mit einem Mal ein Problem mit der Opferung hast. Dabei dachte ich, gerade du hättest begriffen, wie sehr sie ein natürlicher Bestandteil unserer Existenz ist. Schließlich hast du dich freiwillig dafür entschieden, den Dämon in dir aufzunehmen, obwohl du sämtliche Konsequenzen kanntest.«
»Lass es mich so ausdrücken: Der Dämon sehnt sich nach Blut, ja, er fordert es sogar mit aller Macht ein.Aber das bedeutet noch lange nicht, dass man sich seinem Willen fügen muss.«
Mit blankem Unverständnis blickte Rischka den Mann an, von dem sie bis eben gedacht hatte, ihn besser zu kennen als er sich selbst. »Woher stammt dieser unvermittelte Gesinnungsumschwung? Entspringt er deinem Mitleid für Adam, weil er sich nicht in sein Schicksal fügen kann? Wenn ja, dann kann ich dich beruhigen. Im Augenblick mag Adam noch Widerwillen verspüren, weil der Dämon ihm zu viele Freiheiten lässt und er deshalb noch nicht begriffen hat, wer er eigentlich ist. Das wird sich ändern, sobald er die Suche nach seinen menschlichen Überresten aufgibt.«
»Warum bist du dir so sicher, dass er das tun wird? Du scheinst ja regelrecht darauf zu lauern.«
Rischka hob überrascht die Brauen. Eine solche Anschuldigung hätte sie von Etienne nicht erwartet.Allerdings musste sie sich eingestehen, dass er Recht hatte, auch wenn sie ihm diese Taktlosigkeit deshalb keineswegs nachsah.
»Adam ist wie geschaffen dafür, den Willen des Dämons zu erfüllen. Er kann sich ihm nicht entziehen, vertrau mir. Es wäre also besser für unseren jungen Freund, wenn du aufhören würdest, ihn zu ermutigen, dieser Chimäre von einer Vergangenheit hinterherzujagen. Wer er einmal war, ist vollkommen unwichtig geworden.Was jetzt zählt,
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