Nachtglut: Roman (German Edition)
Stimme noch mehr. »Ja, ich weiß ja, daß ich nicht aus dem Garten rausgehen soll, aber ich mußte doch, Mama! Ich wollte nur zum Wohnwagen. Da war ja noch kein Tornado da. Ich hab nicht gewußt, daß Jack dich wecken würde und du dann denken würdest, ich wäre verschwunden oder vielleicht entführt worden. Krieg ich jetzt Haue? Es tut mir doch so leid.« Er hob den Arm vor seine Augen und begann zu schluchzen.
Anna zog ihn an sich und wiegte ihn stumm weinend sachte in ihren Armen, bis ihrer beider Tränen versiegten. Dann schob sie ihn von sich und machte ihm wieder ein paar Zeichen.
»Drei Tage!« jammerte David.
Jack fragte, was los sei.
»Ich darf drei Tage nicht fernsehen.«
»Da bist du noch gut davongekommen, wenn du mich fragst.« Verblüfft, daß Jack sich nicht auf seine Seite stellte, hob David unsicher den Kopf. »Du hast dich nicht an die Regeln gehalten. Aber das Schlimmste ist, daß du deiner Mama schreckliche Angst eingejagt hast. Mütter müssen wissen, wo ihre Kinder sind. Immer. Das ist eine Hauptregel!«
»Ich weiß«, murmelte David zerknirscht. »Sie wird ganz wild, wenn sie mich nicht sehen kann.«
»Dann hätte dir klar sein müssen, daß du dich nicht einfach davonschleichen darfst.«
»Ja, Jack.«
»Tu’s nicht wieder!«
»Nein.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Dann sag das jetzt auch deiner Mama.«
David gab ihr mit Zeichen sein großes Ehrenwort. Sie wischte ihm lächelnd die Tränenspuren von den Wangen. »Wann gibt’s denn Abendbrot?« fragte er.
Jack und Anna lachten.
Während sie Kräcker mit Erdnußbutter verspeisten, ging das Licht aus.
Ezzy tastete sich wie ein Blinder durch das Haus und wünschte, während er von Zimmer zu Zimmer kroch, er könnte sich erinnern, wo Cora für Notfälle wie heute eine Taschenlampe aufbewahrte. Eine Schande, daß ausgerechnet
er, der ehemalige Sheriff, so völlig unvorbereitet war. Er hätte wirklich gescheiter sein müssen.
Wirklich überraschend an dem Stromausfall fand er die Tatsache, daß die Lichter nicht schon viel früher gestreikt hatten. Auf ihrem Südostkurs quer durch den Osten von Texas war die Kaltfront mit den wärmeren, feuchteren Luftmassen vom Golf von Mexiko zusammengestoßen – was zu heftigen Gewittern geführt hatte, aus deren unteren Wolkenschichten sich Schlauchwirbel und Tornados entwickelten. Warnungen vor Hagelstürmen, orkanartigen Winden und schweren Regenfällen liefen in so rascher Folge ein, daß die Leute vom Wetterdienst kaum Schritt halten konnten.
Er fluchte laut, als er mit dem Oberschenkel die Ecke des Küchentisches rammte. Ein Blitz erhellte den Raum wenigstens so lange, daß er den Weg zur Vorratskammer erkennen konnte, und gerade hatte er auf einem der Borde eine Taschenlampe entdeckt, als das Telefon zu läuten begann. Die Batterie in der Taschenlampe war leer.
»Verdammter Mist!« schimpfte er und griff zum Hörer. »Ja?«
Eine Frau sagte: »Ich versuche, einen Sheriff Hardge ausfindig zu machen.«
»Der bin ich.« Er war zwar nicht mehr Sheriff, aber so genau brauchte man es ja nicht zu nehmen.
»Mein Vater war Parker Gee. Er ist heute morgen gestorben.«
Ezzy, der da frustriert in seiner stockfinsteren Küche stand, die nur hin und wieder von einem grellen Blitz in surreales Licht getaucht wurde, brauchte einen Moment, um sich an Parker Gee zu erinnern.
Dann fiel es ihm ein: Der Mann in Krankenhaus. Der ehemalige Wirt von Wagon Wheel, ein ekelhafter Zeitgenosse mit nikotingelben Fingern und einem abscheulichen Husten. Es wunderte ihn, daß Gee so lange durchgehalten hatte.
»Das tut mir leid, Madam.«
»War seine eigene Schuld! Bis zum Schluß hat er die Hände nicht von den Zigaretten gelassen.« Offenbar hatte zwischen Vater und Tochter nicht gerade ein herzliches Verhältnis bestanden. In ihrer Stimme schwang mehr Bitterkeit als Trauer.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Ezzy, während er sich den angeschlagenen Oberschenkel rieb.
»Er bat mich, Ihnen etwas auszurichten; aber ich mache Sie gleich darauf aufmerksam – es ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Sagen Sie’s mir einfach.«
»Kennen Sie jemanden namens Flint?«
Ezzy steckte einen Finger in sein freies Ohr, als ein krachender Donnerschlag das Haus erschütterte. »Flint, sagen Sie? Ist das der Vor- oder der Nachname?«
»Das weiß ich nicht. Mein Vater hat mich nur gebeten: ›Richte Hardge aus, er soll nach Flint suchen.‹ Das war alles. In den letzten Tagen hat er sehr hohe Dosen
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