Nachtglut: Roman (German Edition)
Schmerzmittel bekommen. Er war völlig verwirrt, hat mich und die Kinder nicht mehr erkannt. Ich würd mir an Ihrer Stelle kein Kopfzerbrechen darüber machen, was das zu bedeuten hat. Wahrscheinlich ist es nur ungereimtes Zeug. Die Beerdigung findet übermorgen statt, falls es Sie interessiert.«
Sie nannte Ezzy noch Zeit und Ort, dann verabschiedete sie sich und legte auf. Ezzy würde nicht zu der Trauerfeier gehen. Er hatte den Mann nicht gemocht. Die einzige Verbindung zu ihm war der Fall McCorkle gewesen. Diese merkwürdige Nachricht mußte sich darauf beziehen. War in seinen Unterlagen irgendwo von einer Person namens Flint die Rede? Soweit er sich erinnerte, nicht. War Gee kurz vor seinem Tod eingefallen, daß es an dem Abend noch einen anderen Gast in der Kneipe gegeben hatte? Einen Mann namens Flint?
Zumindest vermutete Ezzy, daß es sich um einen Mann handelte. Könnte allerdings auch eine Frau sein.
Schon wieder läutete das Telefon. »Hallo?«
»Ezzy?«
Er konnte kaum etwas hören bei dem Rauschen in der Leitung, aber es war nicht Parker Gees Tochter, die etwas vergessen hatte. »Ja, wer ist denn da?«
»Ron Foster. Steht Ihr Hilfsangebot noch? Wir könnten Sie heute wirklich gebrauchen hier. Könnten Sie…«
Der neue Sheriff verstummte mitten im Satz. Die Leitung war tot. Aber das machte nichts. Sie brauchten ihn nicht zweimal zu bitten.
Als wäre er plötzlich mit vortrefflicher Nachtsicht begabt, fand Ezzy ohne Probleme seinen Weg ins Arbeitszimmer und sperrte den Waffenschrank auf. Er nahm ein Gewehr heraus, seine Pistole und das Holster sowie für beide Waffen Munition.
Sein Ölmantel hing in der Garage. Er warf ihn auf den vorderen Sitz des Lincoln zu den Waffen. Erst stellte er die Automatik für das Garagentor ab, dann hob er es mit der Hand an. Rasender Wind und peitschender Regen warfen ihn beinahe um.
Während er den Wagen auf die Straße hinausfuhr und in Richtung Ortsmitte steuerte, begann es zu hageln. Körner so groß wie Steine prasselten auf sein Dach und machten unter ohrenbetäubendem Krachen und Scheppern im Nu ein pockennarbiges Monster aus dem Lincoln. Ezzy schaltete die Scheibenwischer gar nicht erst ein. Sie hätten gegen solches Wüten sowieso nichts ausgerichtet.
Als er die Scheinwerfer anwarf, schien die Welt mit grellleuchtenden Schleiern verhangen, durch die nichts zu sehen war. Dann fuhr er ohne Lichter, kaum fähig, über die Motorhaube hinauszusehen, im Schneckentempo los – immer auf dem Mittelstreifen, weil die Ränder überschwemmt waren.
Er war noch mehrere Straßen vom Sheriff’s Office entfernt, als er die Sirenen hörte. Zuerst konnte er ihr Heulen nicht von dem des Windes unterscheiden; aber als er das
durchdringende Geräusch identifizierte, hielt er seinen Wagen mitten auf der Straße an. Die Feuerwehr setzte diese Warnsirenen nur ein, wenn ein Tornado gesichtet wurde.
»Mensch, Cora, jetzt solltest du deinen Alten mal sehen!«
Ezzy zog den Ölmantel über, der bei der Gewalt des Sturms etwa so wirkungsvoll sein würde wie ein Kondom mit Loch. Dann holte er tief Luft, öffnete den Schlag und wagte sich hinaus ins Toben der Elemente.
Schützend hob er die Arme über seine Augen. Hagelbrocken schlugen auf ihn ein. Einer traf ihn an der Schläfe, und er schrie auf vor Schmerz. Halb stolpernd, halb laufend hielt er auf den Straßengraben zu. In seiner Senke trieb das Wasser schon wie in einem Fluß, aber er war noch nicht überflutet. Ezzy brauchte nur eine kleine Mulde…
Weiter gab es nichts zu überlegen. In den zweiundsiebzig Jahren seines Lebens hatte er nie einen Tornado erlebt; aber er hatte Dokumentarfilme über Wirbelstürme gesehen. Und kannte dieses Brausen.
Er warf sich in den Graben und bedeckte seinen Kopf, den er mit knapper Not über dem reißenden Wasser halten konnte, mit beiden Händen.
Die nächsten Minuten schienen hundert Jahre zu dauern.
Anfangs hielt Ezzy den Kopf gesenkt, aber dann gewann Neugier die Oberhand. Gerade als er aufsah, flog der Turm der Kirche am Ende der Straße in einer Million Splitter aus Holz und Stahl auseinander. Die Glocke wurde in den Trichter der Schlauchwolke gezogen und läutete, als wollte sie das Ende der Welt ankündigen.
Das Finanzamt zerbarst vor seinen Augen auf dem Erdboden.
Ein Auto hob ab in die Lüfte und drehte sich mehrmals segelnd im Wind, ehe es wieder auf die Straße hinunterkrachte und sich, zerdrückt wie eine Blechdose, überschlug.
Bäume wurden aus der Erde gerissen, als
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