Nachtglut: Roman (German Edition)
ihrem Haar trösten würde. Ihre Hand lag vertrauensvoll auf seinem Oberschenkel. David hatte sich mit seinen kleinen Fingern in sein Hemd gekrallt.
Auf einmal wußte er, daß einzig und allein dies zählte: David und Anna. Sie waren ihm wichtig. Er war ihnen wichtig. Alles andere – alles – versank in Bedeutungslosigkeit.
In seinem Innersten herrschte Gewißheit. Um die Einsamkeit der vergangenen Jahre auszublenden, schloß er seine Augen und zog Anna und David noch fester an sich, glücklich über ihre Nähe. Ihre Wärme durchdrang ihn. Niemals würde er diesen Moment vergessen. Niemand konnte ihn ihm nehmen. Zum erstenmal, in diesem Moment, erlebte er Liebe.
Jack hätte ewig so bleiben können, aber nach einer Weile wurde David unruhig. Er entwand sich Jacks Arm. »War das ein Tornado, Jack?«
Widerstrebend ließ Jack beide los. »Und was für einer!«
»Wau, genau wie in dem Film.« Inzwischen der Gefahr entronnen, war David wie aufgedreht. »Glaubst du, daß er unser Haus weggerissen hat? Oder die Kühe fortgetragen?«
Jack lachte. »Hoffentlich nicht.«
Anna suchte in der Dunkelheit seine Hand. Sie bog seine Finger gerade und zeichnete Buchstaben in seine Handfläche. L… i… c… h… t… Er klopfte ihr aufs Knie zum Zeichen, daß er verstanden hatte. »David, gibt’s hier irgendwo Licht?«
»Es hängt von der Decke runter.«
Jack stand auf und schwenkte die Arme, bis seine Hand eine Glühbirne traf. Er zog an der kurzen Kette und kniff, von der plötzlichen Helligkeit geblendet, die Augen zusammen.
»O Mann! Schau mal, die Spinne da!« rief David.
Aber Jack sah Anna an, und Anna sah ihn an, und obwohl sie naß und zerzaust war, meinte er, sie nie schöner gesehen zu haben. Und etwas in ihrem Blick sagte ihm, daß auch er, mitgenommen und zerfleddert vom Sturm, keineswegs abstoßend auf sie wirkte.
»Hey, Jack! Jack?«
»Ach, laß doch die Spinne, David«, sagte er zerstreut. »Das ist ihr Zuhause, nicht unseres.«
»Ja, aber sie kriecht doch direkt zu Mama hin.«
Seinen Blick von Anna losreißend, fegte Jack die Spinne von der Wand hinter Anna, dann sah er sich um. Die Kellerdecke befand sich nur ungefähr zehn Zentimeter über seinem Kopf. Der ganze Raum war seiner Schätzung nach etwa vier Meter lang und zweieinhalb Meter breit. An jeder Wand standen Feldbetten. Auf einem davon saß Anna immer noch. David war aufgestanden, um Ausschau zu halten.
An der hinteren Wand befanden sich mehrere Regale mit Kerzen, Zündhölzern, Glühbirnen, Konserven, einem Dosenöffner, einem Glas Erdnußbutter, einem verschlossenen Glasbehälter mit Kräckerkartons darin, etlichen Flaschen Mineralwasser und einer großen Taschenlampe.
Vorn war die Treppe zur Tür, in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel eingelassen. Jack stieg hinauf und legte sein Ohr an die Klappe. »Ich glaube, das Schlimmste haben wir überstanden«, sagte er, sich nach Anna umdrehend. »Aber es gießt in Strömen und donnert weiter. Ich finde, wir sollten noch eine Weile hier unten bleiben.«
David übersetzte ihre Gebärden. »Mama sagt, ganz wie du meinst, Jack.«
»Okay, dann machen wir es uns gemütlich!«
»Ich find das prima hier unten«, sagte David, von einem Fuß auf den anderen hüpfend. »Können wir nicht hier übernachten?«
»Das wird wahrscheinlich nicht notwendig sein.«
»Ach, Mist!« Aber gleich erholte er sich von seiner Enttäuschung und fragte: »Bleibst du jetzt wieder bei uns, Jack? Warum bist du mit den Polizisten weggefahren? Hast du Sehnsucht nach uns gehabt?«
Anna klatschte in die Hände und winkte David zu sich. Ihre strenge Miene dämpfte schlagartig Davids Überschwang. Plötzlich niedergedrückt trottete er zu dem Feldbett und blieb vor seiner Mutter stehen.
Anna schob ihre Finger unter sein Kinn, hob seinen Kopf an und begann mit beiden Händen, ihm Vorhaltungen zu machen. Tränen traten ihr in die Augen, während sie gestikulierte.
»Ich wollte dir doch gar keine angst machen, Mama! Aber ich war überhaupt nicht müde, da braucht man doch nicht zu schlafen, und immerzu mußte ich an Jack denken und daß ich mir so sehr wünsche, daß er wieder da ist. Und dann hab ich mir gedacht, wenn ich zum Wohnwagen laufe und seine Sachen hole und bei mir im Zimmer verstecke, dann muß er zurückkommen und sie suchen! Derweil sehe ich ihn wieder und kann ihn fragen, ob er nicht bei uns bleiben will.«
Anna wartete, bis er fertig war; schließlich begann sie von neuem zu gestikulieren.
Jetzt bebte Davids
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