Nachtglut: Roman (German Edition)
um sie zu ergreifen, und das wollte er nicht. Anna Corbetts Gehilfe wäre vielleicht froh und erleichtert zu sehen, daß er Unterstützung hatte; aber solange die Verbrecher im Haus nichts von Ezzys Anwesenheit ahnten, hatte der einen kleinen Vorteil.
Während er noch überlegte, wie er weiter vorgehen sollte, torkelte der Mann, dessen Name, wie ihm plötzlich einfiel, Jack war, aus dem Haus. Zusammengekrümmt wie unter Schmerzen, schleppte er sich mit schlurfendem Schritt über die Veranda und stolperte die Treppe hinunter. Die linke Hand auf seine rechte Seite gedrückt, taumelte er durch den Vorgarten, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.
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G ott sei Dank, Gott sei Dank, dachte Anna, als Jack in ihrem Blickfeld auftauchte. Offensichtlich peinigten ihn heftige Schmerzen. Aus der Kopfwunde, die Carl Herbold ihm beigebracht hatte, strömte Blut. Sein Gesicht war verschwollen und übel zugerichtet. Aber er lebte.
Laß ihn jetzt nicht stolpern und stürzen, betete sie, während sie voller Angst jeden seiner unsicheren Schritte über die Veranda und die Treppe hinunter beobachtete. Nur noch ein paar Meter, Jack, dann bist du bei uns. Dann bist du in Sicherheit!
Beinahe hatte er Lomax’ Wagen erreicht, da erschien Herbold in der Haustür.
Mit blutiger Hand stützte er sich am Rahmen ab. Das rechte Hosenbein war blutdurchtränkt, und aus der Wunde in seinem Oberschenkel strömte es immer noch rot. Schon war sein Gesicht so bleich wie das eines Toten. Dunkle Ringe lagen um die tief in die Höhlen gesunkenen Augen. Seine Lippen bildeten einen fahlen Strich. Das Leben entströmte buchstäblich seinem Körper.
Aber er war noch nicht tot. Noch besaß er genug Kraft, sich vorwärtszuschieben, sich zu bücken und die Pistole aufzuheben, die auf der Veranda lag. Er war noch lebendig genug, um den Arm zu heben.
Anna sprang hinter dem Pick-up in die Höhe. Sie streckte sich über die Motorhaube, als wollte sie Jack ein Rettungsseil zuwerfen.
Er lächelte sie an.
Warne ihn, Anna, warne ihn!
Sein Name schien ihren Stimmbändern so vertraut, als hätte sie ihn tausendmal gesprochen. Ihre Zunge fand die richtige Stellung am Gaumen. Ihre Lippen bewegten sich wie von selbst.
Jahre des Unterrichts und der Übung taten natürlich das ihrige dazu. Die Geduld der Lehrer zählte mit. Nie gehörte Laute, die unendlich oft wiederholt worden waren, fanden jetzt, da sie sie brauchte, ihren Weg aus ihrem Gedächtnis und wurden Sprache.
Aber ohne den von Liebe und Angst befeuerten Willen, seinen Namen zu rufen, wäre sie stumm geblieben.
»Jack!«
Die Zeit blieb stehen. Alle Bewegung gefror. Sie sah die ungläubige Überraschung in seinen Zügen. Seine Augen leuchteten auf. Die Fältchen um sie herum vertieften sich, als er lächelte. Sein Bild prägte sich ihr weit klarer ein, als jeder Fotoapparat es hätte aufnehmen können. Und dieses Bild von ihm würde sie für immer in sich tragen.
Dann begann die Zeit wieder zu laufen, rasend schnell, als wollte sie die verlorenen Momente aufholen. Sein Ausdruck der Freude und des Glücks wich einer Grimasse tödlichen Schmerzes, als die Kugel aus Carl Herbolds Pistole ihn in den Rücken traf. Seine Arme flogen in die Höhe wie in einer Geste der Kapitulation. Er neigte sich vorwärts, fiel auf die Knie, schlug dann mit dem Gesicht auf die Erde.
Anna röchelte und wollte um den Wagen herum zu ihm laufen, als sie Ezzy Hardge entdeckte, der am Rand der Veranda hockte und ihr wild winkend bedeutete zurückzubleiben.
Herbold hob die Pistole ein zweitesmal. Diesmal zielte er auf sie.
Carl sah Anna Corbetts Viehtreiber zum Eingang hinausstolpern. Er schämte sich seines jämmerlichen Gewinsels, schämte sich, um sein Leben gebettelt zu haben. So wie er sich aufgeführt hatte, war er nicht besser als Cecil …
Bis zum Kragen saß er in der Scheiße! Er blutete wie ein angestochenes Schwein, und wenn die Blutungen nicht bald gestillt würden, würde er verrecken. Mal hatte er zugesehen, wie ein Typ, dem einer ein Messer in die Leber gerammt hatte, verblutete. Carl war an der Sache unbeteiligt gewesen, drum hatte er nichts unternommen, um den Kampf zu beenden oder dem Verlierer zu helfen. Er hatte nur dagestanden wie alle anderen, und während sie zugeschaut hatten, wie das Blut sprudelnd in den Abfluß der Dusche rann, hatten sie Wetten abgeschlossen, wie lange es dauern würde.
So wollte er nicht krepieren – wollte überhaupt nicht krepieren. Und das würde er auch garantiert
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