Nachtglut: Roman (German Edition)
irgendwo sichten sollten, zu äußerster Vorsicht ermahnt worden.
»Eins muß man dem alten Carl lassen, er hat das erstklassig geplant«, sagte der Beamte. »Dieser Myron, der gehört in die Klapse. Der hat vom lieben Gott ungefähr soviel Grips mitgekriegt wie eine Gummiente. Aber Ihr Bruder ist ein verdammt schlauer Bursche. Der hat sich sogar was einfallen lassen, um die elektronischen Piepser loszuwerden, mit denen sie verkabelt waren. Die sind gefunden worden – aber Carl und Myron waren nicht mehr dran. O nein! Das einzige, was man von ihnen aufgestöbert hat, sind ihre Sträflingsanzüge, ihre Hundemarken und diese High-Tech-Dinger, die sich als völlig nutzlos erwiesen haben. Weil die beiden Kerle nämlich längst über alle Berge waren.«
Sie hatten die Behörden überlistet und die Spürhunde ins Leere laufen lassen. Trotz Hubschrauberpatrouillen, Suchtrupps und Straßensperren gab es in der Nacht keine Spur mehr von ihnen.
Cecil war stolz auf seinen kleinen Bruder.
Nur mit Mühe konnte er sich ein befriedigtes Lächeln verkneifen, als der Beamte Carls Verbrechen schilderte: In Cecils
Augen Heldentaten, die denen seiner Idole Jesse James, John Dillinger und Clyde Barrow gleichkamen.
Um seine wahren Gefühle zu verbergen, spielte er den weinerlichen Jammerlappen. »Ich hoff nur, ihr bringt ihn nicht um. Wir beide waren unser Leben lang immer nur auf uns allein gestellt.«
»Na, das stimmt doch wohl nicht ganz, Cecil? Ihr hattet eine Mutter. Sie hat einen anständigen Mann geheiratet, der sich die größte Mühe gab, euch ordentlich großzuziehen. Ich hab die Unterlagen. Also, lügen Sie mich nicht an, Cecil!«
»Ach, Mensch, unser Stiefvater hat uns doch von Anfang an gehaßt wie die Pest. Und wir ihn! Er hat keinen Piep gesagt, wie sie uns damals, als Carl gerade mal fünfzehn war, in die Besserungsanstalt eingewiesen haben.«
»Wahrscheinlich weil ihr Besserung nötig hattet.«
»Und als unsere Mutter gestorben ist, hat er uns noch härter angepackt. Mir persönlich hat’s nicht soviel ausgemacht«, fügte er vorsichtshalber hinzu, »aber Carl, der war ja jünger als ich – den hat’s richtig gebeutelt. Der ist so was von bösartig und gemein geworden, nur weil er nie einen Funken Liebe bekommen hat. Der ist wirklich durch und durch böse. Glauben Sie vielleicht, ich weiß nicht, daß er total verdorben ist? Der will sich gar nicht bessern. Und von Jesus will er schon gleich überhaupt nichts wissen.« Er wischte sich eine Krokodilsträne aus dem Auge. »Aber er ist mein Bruder – das einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist. Er darf nicht sterben.«
»Na bitte«, sagte der Polizist und versuchte, es sich auf seinem Papierkorb bequem zu machen. »Genau das haben wir uns gedacht, Cecil. Wenn Carl und sein Freund Myron eines Abends bei Ihnen aufkreuzten, würden Sie aus lauter brüderlicher Liebe wahrscheinlich noch Beihilfe leisten.«
»Nein, Sir.« Cecil schüttelte mit größter Entschiedenheit den Kopf. »Ich würd sofort die Polizei anrufen.«
»Ach was, tatsächlich?«
»Ja!«
Der Polizist wandte sich seinem Partner zu. »Was meinst du, lügt er?«
Der andere gähnte. »Klar lügt er. Alle Herbolds sind geborene Lügner. Das weiß doch jeder.«
»Ich schwöre bei unserem Herrn Jesus …«
»Lassen Sie den aus dem Spiel, Cecil!« Der Polizist sprang so heftig auf, daß der Papierkorb umstürzte. »Ihnen steht’s nicht zu, den Namen des Herrn in den Mund zu nehmen. Sie können mir so schön tun, wie Sie wollen, Sie bleiben trotzdem ein Knastjünger. Sie und Ihr Bruder waren unzertrennlich, bis Sie in verschiedene Anstalten gekommen sind. Und deshalb werd ich Ihnen sagen, wie’s ab heute läuft.« Er beugte sich vor und stemmte die Hände auf die Knie, sein Gesicht wieder auf einer Höhe mit dem Cecils. »Wir weichen Ihnen nicht mehr von der Pelle. Haben Sie das kapiert?«
Entrüstet richtete Cecil sich auf. »Denken Sie doch, was Sie wollen, Officer! Ich kann Ihnen nur eins sagen: Ich würde Carl der Polizei übergeben, ich schwör’s. Um zu verhindern, daß er umgebracht wird, der verrückte Hund.«
»Das wollen wir Ihnen auch geraten haben, Cecil.«
»Jawohl, Mann«, echote der mit dem Streichholz im Mund. »Das wollen wir Ihnen auch geraten haben!«
Damit gingen sie hinaus, sprachen kurz mit Mr. Reynolds, dem Werkstattbesitzer, stiegen in ihre blitzenden Wagen und brausten davon. Cecil schlich zu dem Lieferwagen zurück, an dem er gearbeitet hatte, als die
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