Nachtglut: Roman (German Edition)
hat mir erzählt, daß er tot ist.«
»Stimmt.« Corbetts Gesicht nahm einen endgültig zugeknöpften Ausdruck an. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Mr. Sawyer, ich muß wieder an die Arbeit. Ich stelle niemanden ein. Auch Sie nicht.«
Einen Moment ratlos, blickte Jack zu Boden und zog mit dem schmalen Absatz seines Stiefels einen kleinen Graben in die Erde. Er hatte bei seiner Ankunft hier keine Ahnung gehabt, wie er sich Corbett nähern wollte. Der Gedanke, ihn um Arbeit zu bitten, war ihm praktisch erst in dem Moment zugeflogen, als er sein Angebot vorbrachte. Jetzt erschien dies der logische Weg. Ein Glück, daß ihm so manche Mängel auf dem Hof aufgefallen und im Gedächtnis geblieben waren. Wäre auf der Ranch alles tipptopp gewesen, so hätte es ihm an Argumenten gefehlt.
»Ich möchte Ihnen trotzdem gern mit dem Zaun helfen«, sagte er. »Ohne jede Verpflichtung.«
Corbetts Blick war immer noch unfreundlich. Der alte Mann schien drauf und dran, Jack vom Hof zu weisen.
»Ich bin ein guter Arbeiter«, beteuerte Jack.
Mit einem Achselzucken gab Corbett nach. »Na schön, wie Sie wollen. Haben Sie Handschuhe?«
Jack zog ein Paar lederne Arbeitshandschuhe aus seiner Hüfttasche und trat an den Zaun. »Was soll ich machen – die Pfosten halten oder den Draht ziehen?«
Der Stolz erlaubte Corbett nicht, sich die leichtere Arbeit zu gönnen. »Der Draht ist meine Sache.«
Sie arbeiteten schweigend. Jack hielt den Pfosten fest,
während Corbett ihn mit dem stramm gezogenen Stacheldraht umwickelte und dann ein paar Nägel einschlug, um diesen zu fixieren. Sie gingen weiter zum nächsten Pfosten. Und zum nächsten.
»Wieviel Grund haben Sie hier?«
»Zweihundertsechzig Hektar.«
Jack pfiff durch die Zähne. »Wie lange besitzen Sie die Ranch schon?«
»Mein ganzes Leben. Ich hab sie von meinem Vater geerbt.«
»Wieviel Stück Vieh?«
»Mehrere hundert.«
»Wo sind die jetzt?«
»Auf einer anderen Weide. Drüben überm Fluß.«
»Herefords?«
»Und ein paar Angus. Erste Qualität. Der Haken ist nur…« Er ächzte in angestrengtem Bemühen, den Draht straff zu ziehen.
»Soll ich das machen?«
»Ich schaff’s schon.«
Jack sah, daß der alte Mann vor Anstrengung einen roten Kopf bekam, aber er schwieg. »Der Haken ist nur…?«
»Zu viele Vegetarier heutzutage.« Er schlug den letzten Nagel ein.
»Ja, die Geißel des Rinderzüchters.« Jack ließ den Pfosten los, nahm seinen Hut ab und fächelte sich mit ihm das Gesicht.
Corbett griff nach einem Thermoskrug, den er zuvor in den Schatten einer Balsampappel gestellt hatte. Ehe er trank, bot er Jack einen Schluck an.
»Trinken Sie erst«, sagte dieser.
Corbett trank direkt aus dem Schnabel, dann kam Jack an die Reihe. »Woher stammt Ihre Berufserfahrung?« Corbett hatte wieder sein Taschentuch gezogen, um sich das Gesicht zu trocknen.
Jack schraubte den Thermoskrug zu und stellte ihn unter den Baum zurück. »Ach, von überall.«
»Sie haben schon mal auf einer Ranch gearbeitet?«
»Ich hab so ziemlich alles schon mal ausprobiert.«
»Na, dann können Sie ja Zeugnisse in Massen vorweisen.«
»Nein, Sir. Nicht eines.«
Corbett verzog amüsiert das Gesicht. Näher kam er einem Lächeln wahrscheinlich nie, dachte Jack. »Nerven haben Sie, Mr. Sawyer! Das muß man Ihnen lassen.«
»Nennen Sie mich Jack. Warum sagen Sie das?«
»Na, Sie wollen einen Job bei mir – ohne ein einziges Zeugnis.«
»Sie werden mir einfach vertrauen müssen.«
»Bestimmt nicht«, gab Corbett brüsk zurück und bückte sich, um seine Werkzeuge einzusammeln. Nachdem er sie ordentlich in einem Metallkasten verstaut hatte, nahm er seinen Thermoskrug, richtete sich auf und sah Jack an. »Ich danke Ihnen, daß Sie Annas Wagen wieder flottgemacht haben. Und ich danke Ihnen für Ihre Hilfe mit dem Zaun. Aber ich stelle sie nicht ein.«
Er machte sich auf den Weg über die Weide. Jack blieb an seiner Seite. »Darf ich fragen, warum nicht?«
»Bitte. Ich sag’s Ihnen gern: Ich kenne Sie nicht. Woher weiß ich, daß Sie mir nicht das ganze Haus ausplündern?«
»Na, wenn ich so was vorhätte, dann hätte ich mich bestimmt nicht vorher mit Ihnen bekannt gemacht.«
»Ich muß an die Sicherheit von David und Anna denken.«
»Für Ihre Familie bin ich bestimmt keine Gefahr.«
»Und woher soll ich das wissen?« entgegnete Corbett.
Jack legte ihm eine Hand auf den Arm. Corbett blieb stehen. Schweigend sah er zu seinem Arm hinunter. Jack zog rasch seine Hand
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