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Nachtglut: Roman (German Edition)

Nachtglut: Roman (German Edition)

Titel: Nachtglut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Klatsch. Jede freundliche oder gutgemeinte Geste wies er zurück, weil er dem Motiv dahinter mißtraute. Er zog es vor, für sich zu leben. Ihre Behinderung lieferte ihm dafür einen guten Vorwand und machte es ihm leicht.
    »Hast du deine Besorgungen heute alle erledigen können?«
    Seine Frage riß sie aus ihren Gedanken und erinnerte sie an etwas. Sie hielt einen Finger hoch, um ihn wissen zu lassen, daß sie gleich wieder zurück sei. Sie holte eine Geschäftskarte aus ihrer Handtasche und brachte sie Delray.
    »Emory Lomax.« Seine Lippen formten erst den Namen, dann eine Verwünschung. Sie hoffte Davids wegen, daß er sie nur leise ausgesprochen hatte.
    »Ich war auf der Bank«, berichtete sie ihm mit raschen Zeichen. »Mr. Lomax ist eigens herübergekommen, um mich zu begrüßen.«
    »Dieser schmierige Kerl!«
    Anna verstand genau, was er meinte. ›Schmierig‹ war das
treffende Wort, um den Leiter der Kreditabteilung der örtlichen Bank zu beschreiben. Immer wenn er sie berührte, und das geschah jedesmal, wenn sie ihm begegnete, hatte sie das Gefühl, sich sofort waschen zu müssen.
    »Er hat die Schalterangestellte, die die Gebärdensprache kann, gebeten, für ihn zu übersetzen.«
    »Was hatte er denn Tolles auf Lager?«
    »Er hat mich dran erinnert, daß eine Zinszahlung überfällig ist…«
    »Die hab ich gestern überwiesen.«
    »Das hab ich ihm gesagt. Er meinte, ihr beide müßtet euch mal zusammensetzen und besprechen, wie und wann du mit der Rückzahlung des Darlehens anfangen willst. Er hat angeboten, hierherzukommen.«
    »Kann ich mir denken.«
    »Um dir die Fahrt zu ersparen, meinte er.«
    »Ach was, der will doch nur hier rumspionieren.« Delray zog einen Zahnstocher aus dem Glasbehälter in der Mitte des Tisches und schob ihn sich zwischen die Zähne. Dann stand er auf. »Ich setz mich jetzt ein bißchen vor den Fernseher. Vielleicht gibt’s heute abend zur Abwechslung mal gute Nachrichten.«
    Er war erbost über das Gespräch des Bankmenschen mit ihr. Vielleicht auch ein wenig besorgt, was aus Arkansas zu hören sein würde. Delray glich, als er schwerfällig aus der Küche stapfte, einem alternden Bären, der seine Krallen verloren hatte und fürchtete, sich nicht mehr schützen zu können.
    »Ist Opa böse auf mich?« fragte David.
    Anna zog ihren Sohn an sich und drückte ihn. »Warum sollte er das sein?«
    »Weil ich zuviel rede.«
    »Er ist nicht böse, sondern macht sich Sorgen, weißt du.«
    »Wegen dem Mann von der Bank?«
    Sie nickte.
    David schnitt eine Grimasse. »Den mag ich überhaupt nicht. Er riecht wie Mundwasser.«
    Lachend bedeutete sie ihm: »Opa mag ihn auch nicht.«
    »Und du?«
    Sie schauderte. »Hu – nein!«
    Jedesmal wenn sie Emory Lomax zum Gruß die Hand reichte, hielt er diese viel zu lange fest; bei jedem Gespräch, das er mit ihr führte, mußte er ihr ausdauernd den Arm tätscheln. Sie hatte ihn bestimmt nie zu solchen Aufdringlichkeiten ermutigt. Anna verhielt sich stets nur höflich. Aber Lomax war in seiner Eitelkeit offenbar unfähig, zwischen schlichten guten Manieren und Anmache zu unterscheiden. Wenn er sie das nächstemal anfaßte, sollte sie ihm den Namen geben, den er verdiente – Kotzbrocken –, und ihm sagen, er solle gefälligst aufhören, sie zu betatschen.
    Würde die Frau am Schalter bereit sein, das zu übersetzen?
    »Marsch in die Wanne«, wies sie David jetzt an und scheuchte ihn die Treppe hinauf.
    Während er, von seiner Flotte Plastikschiffchen umgeben, im warmen Wasser planschte, begann sie, wie jeden Abend ihr Gesicht zu reinigen – eine Prozedur, die für sie normalerweise nichts weiter als ein notwendiges Übel bedeutete, das man hinter sich bringen mußte.
    An diesem Abend jedoch nahm sie sich einige Momente Zeit, um im Spiegel über dem Waschbecken ihr Gesicht zu betrachten. Die verhaßten Sommersprossen gediehen prächtig in dieser Jahreszeit. Sie mußte daran denken, sich mit Sonnencreme einzureiben, wenn sie ins Freie ging. Die tiefblauen Augen hatte sie von ihrem Vater, die kleine Nase von ihrer Mutter. Von beiden hatte sie das Beste mitbekommen.
    Leider waren sie viel zu früh gestorben, innerhalb von Monaten nach ihrer Heirat mit Dean – ihre Mutter an Leberkrebs, ihr Vater an einer Herzkrankheit. Sie wünschte,
sie hätten lange genug gelebt, um sich an ihrem wohlgeratenen Enkel zu freuen, der ein absolut gesundes Gehör besaß. Und noch viel mehr wünschte sie natürlich, Dean hätte seinen Sohn erleben

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