Nachtglut: Roman (German Edition)
»Glücklich!«
Anna nickte.
Es folgten Fotos, wo sich die beiden an einem Strand tummelten. »Flitterwochen?« fragte er.
Wieder nickte sie.
Mehrere Bilder zeigten sie zusammen, Cocktailgläser in den Händen, die mit bunten Papierschirmchen dekoriert waren. Eines zeigte Dean in Bodybuilder-Pose. Ein anderes Anna im Bikini. Sie sah aus wie ein Pin-up-Girl.
Jack betrachtete das Bild, neigte den Kopf erst nach rechts, dann nach links, als wollte er es sachlich begutachten. Als er zu ihr hinaufsah, lachte er und zog die Augenbrauen hoch. Sie errötete und hielt die Lider gesenkt.
Dann schlug er zur nächsten Seite um und war augenblicklich gefesselt von dieser letzten Serie Fotos, die sich völlig unterschieden von den früheren. Sie hatten mit den typischen gestellten Hochzeitsbildern und den Schnappschüssen aus den Flitterwochen nichts gemein. Es waren lauter große Schwarzweißaufnahmen.
Auf der ersten sah man Dean Corbett. Dunkel wie ein Schattenriß saß er an einem offenen Fenster und blickte hinaus. Die Stimmung, die das Bild vermittelte, war eine ganz andere als die auf den Hochzeitsfotos. Da gab es kein strahlendes Lächeln und keine Lebendigkeit mehr. Auf diesem Foto sah Dean Corbett gealtert aus, grüblerisch und sehr traurig.
Anna tippte: »Er war krank. Wir wollten gerade ins Krankenhaus.« Dann fügte sie hinzu: »Zum letztenmal.«
Und eben das war es, was das Bild so beredt ausdrückte: Dean Corbett hatte gewußt, daß er sterben und seine junge Frau und sein ungeborenes Kind zurücklassen mußte.
Der arme Kerl, dachte Jack. Er hatte vor Augen, was ihm durch seinen frühen Tod genommen wurde. Und Jack fragte sich, ob es ein Fluch oder ein Segen war, etwas zu lieben, nur um es dann verlieren zu müssen. Shakespeare hatte seine Meinung dazu niedergeschrieben, aber Jack mochte ihm da nicht so einfach zustimmen. Wer weiß – wenn der Dichter dieses Bild von Dean Corbett gesehen hätte, hätte er vielleicht einen anderen Vers geschrieben.
Anna wartete auf eine Reaktion von ihm. »Es ist traurig«, sagte er, »aber trotzdem ein wunderbares Bild. Man spürt genau, was er fühlt.«
Er blätterte um. Das zweite Foto berührte ihn noch stärker als die Aufnahme von Dean. Sein Anblick traf ihn wie ein Schlag, und einen Moment stockte ihm der Atem.
Der Film war überbelichtet, aber gerade der dadurch entstandene extreme Kontrast zwischen Hell und Dunkel machte das Bild so eindrucksvoll. Dieser Kontrast und der Gegenstand des Bildes.
Den Hintergrund bildete ein rein weißer Himmel, der Vordergrund war tiefschwarz. Am Horizont, wo beide zusammentrafen, dehnte sich ein Stacheldrahtzaun, sehr ähnlich dem, bei dessen Reparatur er Delray an seinem ersten Tag auf der Ranch geholfen hatte. Die Zaunpfähle aus rohem Holz standen in unregelmäßigen Abständen voneinander, manche ein wenig schief. Einer der Drähte war gerissen und hing stachelig und abschreckend lose herab. Aber diese kleinen Unvollkommenheiten schmälerten die Wirkung des Bildes nicht. Sie verliehen dem Zaun Charakter, erzählten von jahrelangem Widerstand gegen Wind und Wetter und anrennendes Vieh.
Doch der Zaun war nur Kulisse. Den Mittelpunkt der Aufnahme stellte die Frau dar, die an einem der Pfähle lehnte, die Hände hinter ihrem Kopf, flach zwischen dem Pfosten und ihrem Rücken. Ihr Gesicht war von der Kamera abgewandt, ihr leicht gebogener Hals dem harten Licht ausgesetzt,
das zwischen die schlanken Sehnen und in die Mulde ihres Schlüsselbeins tiefe Schatten legte.
Der Wind hatte ihr das Haar ins Gesicht geblasen. Derselbe starke Wind – er mußte stark gewesen sein, um eine solche Wirkung hervorzubringen – hatte ihr das Kleid an den Körper gepreßt, dessen Formen sich durch den leichten Stoff hindurch so genau und vollkommen abzeichneten, daß sie ebensogut hätte nackt sein können.
Vor der weißen Wand des Himmels traten die Erhebungen ihrer kleinen, hohen Brüste herausfordernd vor. Das Grübchen ihres Nabels hatte etwas rührend Unschuldiges, doch das dunkel umschattete Dreieck an jener Stelle, wo ihre Oberschenkel sich trafen, lag jenseits von Unschuld. Der Stoff des Kleides schien wie über sie ausgegossen.
Es war ein unglaublich verführerisches Bild. Jack schluckte trocken.
Anna riß ihm das Album aus der Hand und stand auf, um es wegzustellen.
»Moment, warten Sie! Wer war das? Waren das Sie?« Als er sich bewußt wurde, daß er zu ihrem Rücken sprach, wartete er, bis sie sich umdrehte und zurückkam. Er
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