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Nachtglut: Roman (German Edition)

Nachtglut: Roman (German Edition)

Titel: Nachtglut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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traurig sein?« fragte er.
    Ihre Finger hingen ein paar Sekunden über den Tasten, ehe sie tippte. »Sie füllen ein…« Sie suchte nach dem nächsten Wort. Schließlich blätterte sie in einem abgegriffenen Wörterbuch, das neben dem Keyboard lag. Sie tippte ›Vakuum‹ und sah ihn fragend an.
    »Das paßt«, sagte er. »Ich denke, es ist das richtige Wort. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Sie das auch wirklich meinen.«
    Sie nickte nachdrücklich und formte mit den Lippen das Wort ›doch‹. Dann tippte sie weiter. »Delray war sehr unglücklich, bevor er Mary kennenlernte, die Mutter meines Mannes. Mary war seine zweite Frau. Seine erste Frau hatte schon zwei Söhne, als er sie heiratete. Seine Stiefsöhne waren schlimm. Sie haben ihm viel Ärger gemacht. Große Sorgen. Nach dem Tod seiner Frau hat er sie…« Wieder hielt sie inne, um nach einem Wort zu suchen. Sie sah Jack an und machte eine herrische Handbewegung.
    »Verstoßen? Er wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben? Hat sie rausgeworfen?«
    Nickend fuhr sie fort zu schreiben: »Das ist lange her. Delray tut so, als wäre es nie gewesen. Mit Mary hat er ein neues Leben angefangen. Er hat sie sehr geliebt. Aber sie ist gestorben. Und dann Dean. Als Dean gestorben ist, hat Delray sich völlig in sich zurückgezogen.«
    »Woran ist er gestorben?«, fragte Jack.
    Während sie tippte, las er mit. Dean Corbett war Soldat gewesen. Er hatte sich zu einer Fortbildung gemeldet, ohne zu ahnen, daß die Vereinigten Staaten noch während seiner Dienstzeit in einen Krieg eintreten würden. Von Fort Hood in Texas aus war er während der Operation Wüstensturm an den Golf geschickt worden. Nach der Kapitulation blieb seine Einheit in Kuwait, um bei der Beseitigung der Kriegsschäden zu helfen. Er kehrte ohne Verwundung nach Hause zurück, dennoch aber ein Opfer des Krieges.
    »Dean hatte einen Lungenschaden. Durch die Ölbrände«, schrieb sie dann. »Er bekam eine Lungenentzündung nach der anderen, bis er schwer krank wurde und starb.«
    Sie hielt inne. »Das tut mir sehr leid«, sagte Jack.
    Kurz blickte sie auf und sah dann zu ihren Fingern hinunter, die noch auf den Tasten lagen. Die Standuhr im Vestibül schlug die Stunde. Jack fuhr leicht zusammen. Sie nicht. Anna ging so selbstverständlich mit ihrer Behinderung um, daß man leicht ihre geräuschlose Welt vergessen konnte.
    Er klopfte an den Computer, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten, und fragte: »David war da noch nicht geboren?«
    Sie lächelte wehmütig und tippte: »Er kam drei Monate nach Deans Tod zur Welt.«
    Jack rieb sich mit dem Handrücken den Mund. O ja, es gab Schlimmeres, als sich allein durchs Leben schlagen zu müssen – wie er das tat, seit er erwachsen war. Wie mußte das für sie gewesen sein, den Vater ihres Kindes zu verlieren, noch ehe es geboren war? Er wollte sie fragen, ob sie auf David verzichtet hätte, wenn sie gewußt hätte, daß sie so früh Witwe werden würde. Aber er tat es nicht, denn er wußte die Antwort schon. Sie hätte David auf jeden Fall haben wollen.
    Nun begann sie wieder zu tippen. »Delray hat sich zum zweitenmal ein Leben aufgebaut. Ich will nicht, daß er noch mal verletzt wird.«
    »Sie messen mir mehr Bedeutung bei, als ich verdiene, Anna. Ich werde niemanden verletzen.«
    Sie schüttelte den Kopf, noch ehe er zu Ende gesprochen hatte. »Es ist ja auch nicht Ihre Schuld. David wünscht sich einen Vater. Delray vermißt seinen Sohn.« Sie sah ihn an und zuckte die Achseln. Die Folgerung lag auf der Hand.
    Jack verkniff es sich, sie darauf hinzuweisen, daß sie selbst mit Deans Tod einen Ehemann verloren hatte. Er überlegte, ob es in ihrem Leben wohl einen Mann gab, der diese Lücke füllte.
    Deutlich fragte er: »Sieht David seinem Vater ähnlich?«
    Sie hob leicht die Hand und drehte sie hin und her. Dann stand sie auf und holte aus dem Regal ein in Leder gebundenes Fotoalbum, das sie ihm reichte.
    Das erste Bild zeigte Anna und Dean an ihrem Hochzeitstag. Sie trug das traditionelle weiße Kleid mit Schleier und sah strahlend aus. Dean war ein stämmiger junger Mann gewesen, kräftig und gesund, mit einem offenen Gesicht, das an das Delrays erinnerte – aber mehr Heiterkeit
ausstrahlte. In seinen lebhaften Augen blitzte Humor, und auf seinem Gesicht lag ein breites Lächeln. Wahrscheinlich, weil er bis über beide Ohren in seine junge Frau verliebt gewesen war.
    »Sie waren ein schönes Paar«, sagte Jack, als er umblätterte.

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