Nachthaus
Renatas Neu interpretation von Renatas Theorien zu ihrem eigenen Nutzen, denn sie hatte jetzt »einen reiferen Standpunkt und einen ausgeprägteren Sinn für Synthese, der mich die unbewusste Tiefgründigkeit meiner früheren Einsichten umfassender verstehen lässt«. Shelly trampelte nicht auf dem Buch herum, wie Mac es getan hatte. Sie nahm es auf einen ihrer samstagmorgendlichen Spaziergänge mit und ließ es in das offene Feuer in einer Tonne auf einem leeren Grundstück fallen, wo Hilfsarbeiter darauf warteten, dass Arbeitgeber an den Straßenrand fuhren und ihnen für einen Tag einen Job anboten.
Der Posthumanismus war nicht Renatas Erfindung, nur etwas, wofür sie sich interessiert hatte, um ihr Geschwafel daran aufzuhängen. Viele Wissenschaftler und »Futuristen« glaubten, der Tag sei nahe, an dem die menschliche Biologie und die Technologie eine Verbindung miteinander eingehen würden, an dem alle Krankheiten und tief sitzenden genetischen Übel geheilt würden und die menschliche Lebensspanne durch Bio MEMS – biologische mikroelektromechanische Systeme – verlängert würde. Milliarden dieser Mikrosysteme, miniaturisierte Geräte, die so klein wie eine menschliche Zelle oder kleiner waren, würden in den Blutkreislauf injiziert, um Viren und Bak terien zu zerstören, um Toxine zu eliminieren und um DNA Irrtümer zu korrigieren, aber auch um versagende Organe von innen nach außen wieder aufzubauen.
Als er seine Portion Champignons fast aufgegessen hatte, sagte Mac Reeves: »Das Ziel eines langen Lebens ohne Krankheiten scheint mir okay zu sein. Die Arthritis von meinem Dad will ich jedenfalls bestimmt nicht haben.«
Shelly deutete mit ihrer Gabel auf ihn und sagte: »He, vielleicht könnten BioMEMS sogar deine Sturheit heilen, denn auch die scheint genetisch zu sein.«
»Wer würde eine Tugend heilen wollen? Was du Sturheit nennst, nennen mein Dad und ich Engagement für unsere Ideale.«
»Seit wann ist die Weigerung, beim Autofahren das GPS zu benutzen, ein Ideal?«
»Ich weiß immer, wohin ich fahre.«
»Ja, das weißt du. Das Problem ist nur, dass du, um von A nach F zu kommen, über Z fährst.«
»Das nennt sich die landschaftlich reizvollere Strecke. Und hinter der Weigerung, ein GPS zu benutzen, steckt ein Ideal. Es ist das Ideal der menschlichen Sonderstellung. Ich werde meinen freien Willen nicht irgendeiner blöden Maschine unterwerfen.«
»Ein paar von diesen einzigartigen Menschen haben das GPS erfunden«, rief ihm Shelly ins Gedächtnis. »Es mag ja sein, dass die Maschine blöd ist, aber sie ist immerhin nicht stur.«
»Erinnere mich daran, warum ich dich geheiratet habe.«
»Weil du wusstest, dass ich eine Rundfunksendung bestreiten kann.«
»Ich dachte, es war, weil du klug, witzig und sexy bist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nee. Du wusstest, dass es nichts macht, wenn du mal einen mauen Tag hast und auf Sendung bist, weil ich da sein würde, um für dich einzuspringen.«
»Nicht, dass ich jemals einen mauen Tag hätte«, sagte er.
»Nein, du doch nicht, Süßer.«
Befürworter des Posthumanismus’ malten sich Bio MEMS aus – in diesem Fall künstliche rote Blutkörperchen, die Respirozythen genannt wurden –, die die Sauerstoffzufuhr mit noch größerer Effizienz durchführen würden als die natürlichen Zell en und die Sauerstoff hundert-, wenn nicht tausendmal effizienter als echtes Blut einlagern und transportieren würden. Ein Mac oder eine Shelly mit Bio MEMS könnte einen Mara t honlauf absolvieren und wäre hinterher kaum außer Atem oder sie könnten sogar ohne Scuba-Ausrüstung schnorcheln und ohne Atem zu holen stundenlang unter Wasser bleiben.
»Die Kehrseite von Respirozythen«, sagte Mac, »ist die, dass deine Schwester dann noch mehr und noch schneller reden würde, weil sie nicht mehr so oft Pause machen müsste, um Luft zu holen.«
»Und genau deshalb werden wir lange Stunden unter Wasser verbringen wollen, wo wir sie nicht hören können«, stimmte Shelly ihm zu. »Ich hänge wirklich an Arlene, aber der Gedanke, eines Tages könnte sie, unterstützt durch irgendwelche Geräte, nonstop quasseln, ist mir irgendwie umheimlich.«
»Sie sagen Blut, das mit Nanobots angereichert ist, für 2025 voraus, vielleicht spätestens 2030. Du weißt doch, was passieren wird, wenn die Lebensspanne auf dreihundert Jahre oder so steigt?«
»Wir werden uns was Neues suchen müssen. Ich liebe das Radio, aber noch zweihundert Jahre schaffe ich das
Weitere Kostenlose Bücher