Nachthaus
rief: »Senator Blandon? Sir, sind Sie zu Hause?«
Die Wohnung des Senators war nur halb so groß wie die der Cupp-Schwestern. Wenn er nicht bewusstlos war oder unter der Dusche stand, hätte er Logan hören müssen.
In einem Notfall, wenn Grund zu der Annahme bestand, dass ein Bewohner des Hauses sterbenskrank oder durch andere Umstände außerstande war, jemanden einzulassen, war in den Richtlinien des Eigentümerverbandes festgelegt, dass sich ein Wachmann mit einem Hauptschlüssel Zutritt zu der jeweiligen Wohnung verschaffte, allerdings nur in Begleitung des Pförtners oder des Hausmeisters. Dahinter stand der Gedanke, das ohnehin schon geringe Risiko, ein Mitglied eines gründlich überprüften Wachteams könnte eine solche Gelegenheit für ei nen Diebstahl nutzen, weiter zu minimieren.
Da bei Earl Blandon leicht eine Sicherung durchbrannte und man sich darauf verlassen konnte, dass er in Alkohol getränkt und daher leicht entflammbar, wenn nicht gar explosiv war, beschloss Logan Spangler, die Wohnung allein zu betreten. Falls der Senator keine Hilfe brauchte, würde er sich gewaltig über Spanglers Eindringen ärgern. Paranoia war Blandons Rüstung, selbstgerechte Empörung sein Schwert, und er ließ nie eine Gelegenheit aus, sich zu beschweren. Ein einzelner ungebetener Besucher würde ihn verärgern, aber zwei würden ihn in Rage versetzen.
Logan hatte keinerlei Interesse an Inneneinrichtung, doch als er im Wohnzimmer das Licht einschaltete, fiel ihm auf, dass der Senator das Dekor vornehmer Klubs nachgeahmt hatte. Kassettendecken mit starken Vertiefungen. Dunkle Holzver täfelung. Wuchtige Ledersessel. Schwere Beistelltische aus Massiv holz auf Klauenfüßen. Bronzelampen mit Pergamentschirmen. Über dem Kaminsims aus Kalkstein hing ein Hirschkopf mit glasigen Augen und einem vierzehnendigen Geweih, den Blandon zweifellos gekauft und nicht seinem Talent als Jäger zu verdanken hatte.
Die lange Tischplatte im Esszimmer war aus Mahagoni und auf Hochglanz poliert. Sämtliche Stühle hatten Armlehnen und eine hohe Rückenlehne, doch am Kopfende des Tisches stand ein breiterer Stuhl mit kunstvolleren Schnitzereien und silbernen Einlegearbeiten, als sollte damit angedeutet werden, der Gastgeber sei zwar nicht von königlichem Geblüt, könne aber dennoch für sich in Anspruch nehmen, ranghöher als seine Gäste zu sein.
Während er eine Runde durch die Wohnung drehte, ohne etwas anderes zu berühren als Lichtschalter und Türen, die aufgestoßen werden mussten, war sich Logan, wie immer, der Pistole an seiner rechen Seite bewusst, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, dass er sie brauchen würde. In einer verkümmernden Welt, die von Tag zu Tag düsterer und gewalttätiger zu werden schien, stellte das Pendleton doch eine Oase des Friedens dar.
Logan rief weiterhin den Namen des Senators, als er durch die Räume schritt und zum Schlafzimmer gelangte. Hier war die Kassettendecke mit den verschnörkelten Verzierungen weiß gestrichen und eine blassgoldene Tapete verlieh den Wänden eine weiche Struktur und ein zartes Muster.
Das Bett war frisch gemacht und alles hatte seine Ordnung. Da Earl Blandon kein Mensch von der Sorte zu sein schien, die gewohnheitsmäßig gründlich hinter sich aufräumten, hatte Logan den Verdacht, der Mann hätte es letzte Nacht gar nicht bis in sein Bett geschafft.
Diejenigen unter den Bewohnern der Hauses, die – wie der Senator – keine eigenen Voll- oder Teilzeithaushälterinnen be schäftigten, hatten für die benötigte Haushaltshilfe Abkommen mit einer Dienstleistungsagentur getroffen, die vom Eigentümerverband gutgeheißen wurde. Am liebsten war ihnen im Allgemeinen ein Dienstmädchen, das ein- oder zweimal in der Woche kam. Die Chefconcierge, die derartige Dienstleistungen organisierte, hatte dem Sicherheitsdienst eine Liste vorgelegt, der zu entnehmen war, dass Earl Blandons Haushaltshilfe immer dienstags und freitags kam.
Heute war Donnerstag. Folglich war keine Haushälterin hier gewesen, um das Bett zu machen.
Im Schlafzimmer lagen zwei große zusammengeknüllte Hand tücher achtlos auf dem Fußboden. Als Logan sich bückte, um sie anzufassen, stellte er fest, dass sie nicht mehr feucht waren. Als er die Glastür öffnete, sah er keinen einzigen Wassertropfen in der mit Marmor verkleideten Duschkabine, und auch die Fugen wirkten trocken.
Der Senator hatte vielleicht vor 24 Stunden geduscht, bevor er am vergangenen Abend aus dem Haus gegangen war.
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