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Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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des Senators durch rasches Blinzeln zu vertreiben.
    Nach so vielen Jahren als Bulle betrachtete er die ganze Welt als einen Schauplatz von Verbrechen, und an jedem Tatort wartete die Wahrheit darauf, gefunden zu werden. Anfangs konnte es vorkommen, dass man die Indizien falsch deutete, aber das dauerte selten lange, und ihm passierte so etwas nie. Während seiner gesamten Karriere hatten ihn andere Bullen Adlerauge genannt, und das nicht nur, weil er so gute Augen hatte, sondern auch, weil er wie aus großer Höhe auf einen Fall hin abblicken und die Wahrheit sehen konnte, wie ein Adler die Feldmaus sogar im hohen Gras erspäht. Doch obwohl er wusste, dass jetzt alles um ihn herum eine Lüge sein musste, konnte er durch die Sinnestäuschung hindurch die Realität nicht erkennen.
    Nach einem Moment stieg jedoch, als hätte jemand einen Magnetregler leicht verschoben, Licht auf, zuerst von mysteriösen Quellen, doch dann von halbtransparenten Formen, die den Lampen ähnelten, die hier gewesen waren, als Logan das Zimmer erstmals betreten hatte. Nicht nur Lampen, sondern auch Möbelstücke materialisierten sich, anfangs in Form von gespenstischen Umrissen, wie das schwächere Bild auf einer fotografischen Doppelbelichtung, doch sie verfestigten sich rasch und wurden detaillierter. Der nachgemachte Perserteppich tauchte wieder unter seinen Füßen auf.
    Während sich in der Wohnung des Senators die Realität des Schlafzimmers wieder behauptete und die Vision eines leer ste henden und verfallenen Gebäudes verblasste, drehte sich Logan langsam im Kreis. Das hervorquellende Licht wusch die Mottenflecken von der blassgoldenen Tapete. Die Streifen grauer und vergilbter Farbe, die sich von der Kassettendecke schälten, glätteten sich wieder zu einer weißen Oberfläche.
    Im Lauf der Jahre hatte sich Logan Spangler in Momenten der Gefahr so oft bewährt und einen solchen Gleichmut bewiesen, dass er sich für nahezu unfähig hielt, um sein Leben zu bangen. Doch das Erstaunen vertiefte sich rasch zu Ehrfurcht und das Geheimnis des sich verwandelnden Zimmers war so imposant, dass ihn tiefes Grauen beschlich, als er sich fragte, welche Macht eine solche Veränderung hervorrufen könnte und warum.
    Nachdem er sich um hundertachtzig Grad gedreht hatte, stand Logan Spangler wieder vor dem Badezimmer. Auf der anderen Seite der Tür brannte helles Licht. Der staubige, beschädigte Marmorboden schien wieder sauber und in gutem Zustand zu sein.
    Hinter ihm zischte etwas.

14 Apartment 2-G
    Um sich von der Aussicht auf ihren drohenden Tod durch einen Stromschlag abzulenken, aber auch von einer Erinnerung an lichterloh brennendes Haar und rauchende Augen, beschloss Sparkle Sykes, eine Inventur ihrer eleganten Schuhe vorzunehmen, von denen sie 104 Paare besaß. Sie setzte sich auf einen gepolsterten Schemel in ihrem geräumigen Ankleidezimmer und ließ sich Zeit mit jedem einzelnen Paar, erfreute sich an einem spitz zulaufenden Absatz, der Rundung einer Fersen kappe, der Wölbung eines Schafts, der Schräge eines Ober leders, dem Ledergeruch …
    Seit vor 24 Jahren, als sie acht Jahre alt gewesen war, ihr geliebter Daddy vom Blitz getroffen und getötet worden war, fürchtete sich Sparkle Sykes vor Gewittern. Für sie waren Gewitter kein banales Wetterphänomen. Sie waren denkende Geschöpfe. Die Elektrizität in ihren Wolken erfüllte dieselbe kognitive Funktion wie der schwächere Strom, der sich unaufhörlich durch ihr Gehirn wand, von einer Synapse zur nächsten. Wie Flotten von außerirdischen Raumschiffen tauchten sie am Horizont auf, eroberten den gesamten Himmel und unterdrückten das Land und die Leute unter ihnen. Sie waren uralte Götter, stolz und grausam, und sie verlangten Opfer. Sie waren Wesen aus reiner Kraft, die von außerhalb der Zeit in die Welt eindrangen, mit der teuflischen Absicht, gewöhnlichen Sterblichen Leid zuzufügen.
    Sparkle vermutete, dass sie ein bisschen verrückt war, wenn es um Gewitter ging.
    Stunden vor dem Einsetzen des Unwetters hatte sie vor den Fenstern ihrer Wohnung mit Blick auf den prachtvollen Innenhof des Pendleton die schweren Vorhänge zugezogen. Wenn sie durch Räume kam, die einen Ausblick boten, hielt sie ihre Augen von den Fenstern abgewandt, da sie befürchtete, sie könne versehentlich einen flüchtigen Blick auf das Unwetter erhaschen, das hinter den in Falten gelegten Brokatbahnen wütete.
    Zwischen drei- und sechshundert Amerikaner wurden jedes Jahr durch Blitze getötet.

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