Nachthaus
er sie denn ins Leben rief, zu dem gefragtesten Ort im Internet zu machen. Aber dass es ihm misslungen war, skandalöses Material über Hawks zu finden, hieß ja noch lange nicht, dass er keine schmutzigen Geheimnisse hatte. Es hieß nur, dass der Waisenmörder sich außerordentlich klug dabei anstellte, Beweise für seine grausamen Verbrechen und ekelhaften Perversionen zu verbergen.
Immerhin hatte Vernon haufenweise Indizien dafür gefunden, dass Hawks bei Weitem nicht der Held war, für den ihn der alte Logan Spangler hielt. Zum Einen hatte Hawks neun Finanzmagazine abonniert, was deutlich auf eine schwachsinnige Be sessenheit vom Geldmachen hinwies. Er hatte einen Kühlschrank, in dem er ausschließlich Wein aufbewahrte, gefüllt mit Hochpreis-Cabernets, etliche teure maßgeschneiderte Anzüge, von denen jeder sechsmal so viel kostete wie ein absolut brauchbarer Anzug von der Stange, und außerdem eine Sammlung von seltenen Bakelitradios aus der Zeit des Art decó. Ein anständiger Mann hätte nicht all dieses Geld so selbstsüchtig für derart frivole Gegenstände ausgegeben. Obwohl sich Vernon gut mit Safes und auch damit auskannte, wie man sie knackte, hatte sich Hawks’ frei stehendes Modell als vollkommen unzugänglich erwiesen, was bedeuten musste, dass es skandalöses Material enthielt. Und obwohl Vernon viel vom Computerhacken verstand, konnte er nicht an Hawks’ Kundendateien rankommen, weil sie zu gut geschützt waren; er begann zu glauben, sie seien auf einem anderen Computer untergebracht, den er jede Nacht in den Safe sperrte, zweifellos, weil Hawks und seine Klienten in Aktienbetrug, Rohstoffmanipulation oder Schlimmeres verwickelt waren.
Als Hawks den Wachraum betrat, sagte er: »Mr. Klick, ich habe gerade auf der nördlichen Treppe jemanden gesehen, der, soweit ich weiß, nicht hier wohnt.«
Vernon setzte sich wieder, beleidigt, weil man ihn nicht mit Officer , sondern mit Mister angeredet hatte, und sagte: »Wer war denn dieser Jemand?«
»Ich weiß nicht, wer sie war. Aber ich frage mich, ob Sie nicht auf Ihren Bandaufzeichnungen überprüfen können, ob sie das Treppenhaus im Erdgeschoss oder im Keller verlassen hat. Sie war auf dem Weg nach unten und ist mir entgegengekommen, als ich auf dem Absatz im ersten Stock stand.«
»Falls sie doch hier wohnt, wäre es eine Verletzung ihrer Privatsphäre, wenn ich Sie überprüfen ließe, wohin sie gegangen ist.«
»Ich glaube nicht, dass sie hier wohnt.«
»Aber Sie wissen es nicht mit Sicherheit.«
»Hören Sie, hier stimmt etwas nicht.« Hawks zögerte. Seine Augen waren so unstet, wie man es von den Augen eines betrügerischen Investmentberaters erwartet hätte. »Es sind diverse seltsame Dinge vorgefallen. Dieser Vorfall hat sich erst vor drei oder vier Minuten ereignet, aber vielleicht wird sie auf der Aufzeichnung auch gar nicht zu sehen sein. Es würde mich nicht wundern.«
Vernon sagte stirnrunzelnd: »Dann hat Ihnen Spangler also von den fehlenden dreiundzwanzig Sekunden erzählt. Also, ich bin hier derjenige, der gesagt hat, es muss einen Raubüberfall gegeben haben, oder vielleicht ist auch jemand ermordet worden. Wenn sich herausstellt, dass das stimmt, wird er behaupten, er hätte von Anfang an den Verdacht gehabt, dabei war ich es, nicht er, der das alles verdächtig fand. Wenn Sie behaupten, es gäbe noch einen zweiten Eindringling und vielleicht noch mehr seltsames Zeug mit den Sicherheitsaufzeichnungen, dann werden die, solange ich Dienst habe, nicht ungeschoren davonkommen. Sehen wir doch gleich mal nach.«
Vernon schaltete auf einem der mittleren Monitore die Echtzeitaufnahmen aus und griff auf das Archiv zu. Da es in den Treppenaufgängen keine Kameras gab, rief er zuerst den Flur im Keller vor der nördlichen Treppe auf und ging fünf Minuten zurück, um zu sehen, ob jemand aus dieser Tür herauskam. Falls hier ein Raubüberfall oder ein Mord oder noch ein Mord oder eine andere Form von krankhaftem kriminellem Treiben unter dem privilegierten Geschmeiß des Pendleton stattfand, würde sein Buch sich nicht nur gut verkaufen, sondern ein gewaltiger Bestseller sein. Ein pikanter Mehrfachmord wäre einfach wunderbar, am besten, wenn sexuelle Verstümmelungen oder Kannibalismus im Spiel waren. Wahrscheinlich war das zu viel verlangt, aber andererseits wusste man ja nie, welchen Lasterhaftigkeiten diese begüterten Eliten als Nächstes frönen würden.
* * *
Mickey Dime
Im Arbeitszimmer stand der tote Jerry in seine Decke
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