Nachthaus
den Drang, Kunstwerke zu besitzen. Nicht ein einziges Gemälde hing in seinen Räumen. Er besaß ein paar Tausend Bücher, darunter vielleicht hundert großformatige Bände über Maler, deren Werk ihn ansprach. Fotografien von großen Kunstwerken waren für ihn so befriedigend, wie es die Originale selbst gewesen wären, wenn sie an seinen Wänden gehangen hätten.
Vereinfachen, vereinfachen. Das war das Geheimnis eines glücklichen Lebens.
Im Ignis-Institut hatte er jede Menge Platz und Geräte sowie ein Team von brillanten Männern und Frauen zu seiner Unter stützung, aber derzeit arbeitete er häufiger zu Hause als im Büro, um die Zeit für die Anfahrt und die Rückfahrt zu sparen und sich die Sorgen des Arbeitsalltags und den Ärger mit der Bürokratie von anderen abnehmen zu lassen.
Kirby Ignis führte ein Leben, das weitgehend in seinem Kopf stattfand. Er hatte wenig Interesse an materiellen Dingen, aber ein umso leidenschaftlicheres Interesse an Ideen und ihren Kon sequenzen. Sogar jetzt, während er die Fische beobachtete und sich eine Oper anhörte, war er in Gedanken mit einem schwierigen Forschungsproblem beschäftigt, einem wüsten Geflecht von anscheinend widersprüchlichen Tatsachen, das er schon seit Wochen geduldig entwirrte. Tag für Tag dröselte er neue Fäden auf und wickelte sie in der richtigen Reihenfolge wieder auf. Er rechnete damit, dass er das ganze Problem in einer weiteren Woche vollständig entwirrt und so ordentlich aufgerollt haben würde wie eine brandneue Garnrolle.
Obwohl er allein lebte, war er nicht einsam. Es hatte einmal eine Mrs. Ignis gegeben, die bezaubernde Nofia, doch sie hatte ein anderes Leben gebraucht als das, was er wollte. Mit beiderseitigem Bedauern ließen sie sich scheiden, als sie sechsundzwanzig waren, vor nunmehr vierundzwanzig Jahren. Seitdem war er keiner Frau begegnet, die Nofias Wirkung auf ihn hatte. Aber er erfreute sich eines komplexen Netzwerks von Freunden, dem er ständig weitere hinzufügte. Man hatte ihm mehr als einmal gesagt, er hätte das Gesicht eines Charakterdarstellers, das es ihm erlaubte, den amüsanten Nachbarn, den Lieblingsonkel, den charmanten Exzentriker … und demnächst auch den heiß geliebten Großvater zu spielen. Nicht nur sein Gesicht ließ ihn laufend neue Freunde gewinnen, sondern auch sein ansteckendes Lachen und der Umstand, dass er ein guter Zuhörer war. Man wusste nie, was Leute sagen würden, und von Zeit zu Zeit hörte er eine Geschichte oder eine Tatsache oder eine Meinung, die zwar anscheinend nicht das Geringste mit seiner Arbeit zu tun hatte, ihn aber trotzdem auf neue Pfade und zu Gedankengängen führte, die sich als fruchtbar erwiesen.
Tatsächlich war die Musik, die ihn im Moment bei der Lösung von Problemen animierte, die Folge einer Konversation auf einer Cocktailparty. Als Kirby gesagt hatte, seine Gedanken seien klarer und tiefer, wenn er Musik hörte, dass er aber nur Instrumentalmusik ertrug, weil ihn Sänger durch die Texte ablenkten, hatte die eher schräge, aber immer amüsante Freundin eines Kollegen vorgeschlagen, er sollte sich gesungene Texte doch einfach in Sprachen anhören, die er nicht verstand, denn dann sei die Stimme lediglich ein weiteres Instrument. Er mochte italienische Opern, aber da er fließend Italienisch sprach, genoss er sie jetzt in der Aufführung von Ensembles, die sie in, man höre und staune, chinesischen Übersetzungen sangen. Die wirre Rothaarige – mit Ohrgehängen, die nach Sturzbächen von Lametta aussahen, und einem zierlichen Tattoo auf dem rechten Handrücken, das eine springende Gazelle darstellte – hatte dieses kleine Problem für Kirby gelöst, und dazu wäre es niemals gekommen, wenn er nicht sogar den unwahrscheinlichsten Leuten mit Vergnügen zugehört hätte.
Seine Wohnung bot keinen unbezahlbaren Ausblick auf die Stadt. Die Wohnzimmerfenster gingen zum Innenhof, was ihm vollauf genügte, denn Kirby verwendete mehr Zeit darauf, nach innen zu blicken als nach außen. Da er Gewitter mochte, waren die Vorhänge ganz aufgezogen. Der Donner, das Prasseln des Regens auf die Fensterscheiben und das Pfeifen des Windes ergaben zusammen eine Symphonie, die der Oper aus den Lautsprechern keine Konkurrenz machte. Das Zimmer wurde nur durch den angenehm gespenstischen Schimmer des Aquariums erhellt und etwas an dieser Art der Beleuchtung erinnerte ihn an Szenen aus üppig ausgestatteten Schwarz-Weiß-Filmen wie Sunset Boulevard und Citizen Kane . Das Flackern der
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