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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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Eichhörnchen kletterten an den Rinden der Bäume hoch, während ein Specht rhythmisch gegen einen Stamm hämmerte. Moos, Steine und jahrhundertealtes Unterholz, so weit ihr Auge reichte. Der Regen war jetzt nicht mehr so heftig und tropfte auf den Baldachin aus Blättern. Ein Duft von Wasser, das zwischen Ufern aus Gräsern und Bäumen über ein sandiges, steiniges Bett rauschte: der Fluss Avon.
    Sie war völlig vom Wald umgeben, eingetaucht mit allen Sinnen, war wie betrunken von seinen Eindrücken. Sie wollte nie mehr weg.
    Dann füllte ein neuer Duft, der dunkler und wärmer als die anderen war, ihre Nase. Er enthielt einen Anflug von Gewürzen, der sich selbst unter dem tierischen Geruch nach Blut und nassem Fell nicht verbergen ließ. Ein anderes Herz schlug zeitgleich mit dem ihren. Sie drehte den Kopf und öffnete die Augen, um ihn neben sich zu entdecken. Er hatte sich an der Astgabelung niedergelassen, wobei sein langer Schwanz unruhig hin und her schlug. Listige, mandelförmige Augen sahen sie fragend und aufmerksam an.
    Das überraschte sie am meisten: Die Schönheit dieser Kreatur berührte und freute sie noch mehr als alles andere, sogar mehr als der riesige, herrliche Wald um sie herum. Der große, keilförmige Kopf mit der langen, spitz zulaufenden Schnauze und den silbernen Barthaaren, in denen sich das Licht fing, faszinierte sie ebenso wie das rabenschwarze, schimmernde Fell, das einen Hauch von Violett erahnen ließ, und der Körper, der so kraftvoll und muskulös war.
    Dieses Tier war atemberaubend schön. Es besaß eine Anmut, die sich selten fand.
    Sie sprang mit einer geschmeidigen Bewegung auf und begann auf ihn zuzulaufen, wobei sie sich ihm so langsam und vorsichtig wie möglich näherte. Die Neugier ließ ein wunderbares Lied in ihrem Inneren erklingen, und eine Wärme breitete sich in ihr aus, die ihr irgendwie bekannt vorkam.
    Sie gab einen Laut von sich. Es war ein fragendes Geräusch, ein helleres als zuvor.
    Seine Antwort war ein rollendes Knurren, das seinen ganzen Brustkorb erfasste. Sie kam näher und blieb dann wenige Zentimeter vor ihm stehen.
    Nun näherte auch er sich – elegant und tödlich und so lautlos, wie man es bei einem derart großen Tier nicht für möglich gehalten hätte. Sein Gesicht befand sich nun direkt vor dem ihren.
    Kaum merklich berührte er sie mit seiner Wange, und als seine Barthaare auf die ihren trafen, lief ein Stromschlag durch ihren Körper, der sie beinahe schockierte.
    Verblüfft holte sie Luft und erstarrte.
    Auch er erstarrte, und seine Augen wanderten zu den ihren. Ein weiterer Herzschlag, ein weiterer Moment, in dem sie sich nicht bewegte, ehe er seinen Kopf erneut senkte, um seine Wange sanft an ihrem Gesicht zu reiben.
    Sie schloss die Augen und akzeptierte den Druck, den sein Gesicht auf dem ihren ausübte. Schließlich kam er noch einen Schritt näher, sodass sie Schulter an Schulter standen und einander schnurrend vor Vergnügen musterten.
    Oh, dieses Gefühl. Dieses Verlangen, diese helle Empfindung des Glücks. Noch nie zuvor hatte sie Derartiges erlebt.
    Sie öffnete die Augen, holte tief Luft und verwandelte sich wieder in eine Frau.
    »Nicht«, keuchte sie und fuchtelte mit den Händen, die sie ausgestreckt hielt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre menschlichen Füße fühlten sich lächerlich schwach und wertlos an.
    Auch er wandelte seine Gestalt. Der schwarze Panther löste sich blitzschnell in Nebel auf, der sich dann in den nackten, muskulösen Menschenkörper formte, mit dem sie so vertraut zu werden begann. Er streckte die Hände aus und umfasste ihre Handgelenke, als sie auf dem gewaltigen Ast ins Schwanken kam und in Gefahr stand, in die Tiefe zu stürzen. Ein kühler Wind voller Feuchtigkeit und der Duft des Waldes fing sich in ihren Haaren. Die schweren Strähnen hoben und senkten sich dann wie Liebkosungen auf seine Brust.
    Seine Stimme klang noch tiefer als gewöhnlich, als er sie ansprach, seine Finger noch immer um ihre Handgelenke gelegt.
    »Nicht was?«
    Sie sah ihn an. Auf einmal schien die Zeit stehen zu bleiben.
    Sie sah sein schönes Gesicht mit den mandelförmigen Augen, die unter den kohlschwarzen Wimpern hervorblickten und sie fragend anschauten. Sie sah seine schimmernden, rabenschwarzen Haare, die ihm über die Schultern fielen, von denen eine lange Strähne bis zu seinen vollen Lippen reichte. Sie sah seinen herrlichen, nackten Körper mit der makellosen Haut, auf der Licht und Schatten spielten.

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