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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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auf Jennas Haaren und ihren Armen niederließ. Einen Moment lang herrschte eine unnatürlich wirkende Stille, während Jenna vor Schreck erstarrt noch immer auf ihrem Platz saß.
    Vor der Tür war ein Rufen zu vernehmen. Jemand versuchte, die Klinke herunterzudrücken. Doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Christian hatte sie zuvor abgesperrt. Jenna starrte offenen Mundes auf die Tür und dann zu Christian. Er stand umgeben von Glasscherben und Marmorstücken, seine Arme an den Seiten herabhängend. Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Doch in seinen Augen funkelte ein grünes, grimmiges Licht, das ihn seltsam entschlossen aussehen ließ.
    »Leander ist der mächtigste Alpha der Ikati, Jenna.« In seiner Stimme schwangen uralte Trauer und eine solche Bedürftigkeit mit, dass es ihr kalt über den Rücken lief. »Aber du bist die Königin. Ob die anderen das anerkennen oder nicht, ob du regieren willst oder nicht …« Ein flüchtiges Lächeln der Melancholie huschte über seine Lippen. Seine Stimme klang nun weicher. »Ob du dich für den einen oder den anderen Bruder entscheidest – all das ändert nichts an den Tatsachen.«
    Er zeigte mit einer Hand auf die Fenster, das große Loch in den Scheiben und die kühle Brise, die nun die Vorhänge zum Wehen brachte. Die schweren Seidenstoffe umflatterten Christians Beine. »Ich bin nie mehr als der zweite Sohn gewesen, der Zweitbeste. Doch vor allem bin ich Ikati. Ich bin an das Gesetz gebunden. Mein ganzes Leben ist davon bestimmt. Verdammt noch mal, das Gesetz ist in diesem Fall vollkommen eindeutig.«
    Er holte tief Luft, und sie sah, wie seine Kiefermuskeln zuckten. »Du bist die Königin. Ich glaube Morgan, weil ich es von Anfang an gewusst habe. Man muss dich nur ansehen, dich spüren, um es zu wissen. Die anderen haben nur Angst davor, was das für sie bedeuten könnte. Aber du bist die Königin, und dein Leben gehört dir.«
    Jenna holte mehrmals tief Luft, während sie noch immer schockiert blinzelte und panisch nachdachte. Sie begann allmählich zu verstehen. Sonnenstrahlen fielen auf die hellen Farben des Teppichs unter ihren Füßen. Draußen vor den Fenstern stiegen zwei Stare in die Luft und flogen im Zick-Zack wie trunken vor Glück auf den silberblauen Horizont zu.
    Ohne nachzudenken, stand Jenna auf, trat zu Christian und berührte ihn an seiner unrasierten Wange. »Ich wusste, dass du ein Gentleman bist«, flüsterte sie.
    Wieder lächelte er sie auf seine traurige Weise an. Wütende Faustschläge donnerten jetzt gegen die Tür. Keiner der beiden rührte sich.
    »Aber ich kann nicht zulassen, dass du so etwas tust.« Sie sah ihm tief in die Augen und schüttelte dann den Kopf. »Man würde deinen Kopf fordern. Das weißt du genau.«
    Er hob die Hand und drückte ihre Finger sanft an seine Wange, ohne die seinen zurückzuziehen. Dann drehte er die Nase zu ihrem Handgelenk und holte tief Luft.
    »Mein Kopf …« Seine Stimme versagte ihm. »Um meinen Kopf musst du dir keine Sorgen machen.« Er schloss die Augen und presste für einen Bruchteil einer Sekunde seine Lippen auf ihre Haut. »Aber ich mach mir um den deinen große Sorgen. Bitte, geh. Schnell.«
    »Jenna!«
    Leanders zornige Stimme drang durch die Tür. Seine Fäuste hämmerten ununterbrochen auf das Holz. »Christian! Was ist da los? Öffne die Tür! Öffne diese gottverdammte Tür!«
    »Nach Hause kannst du nicht zurück«, sagte Christian ruhig, als er den Kopf hob und sie ansah, ohne auf den donnernden Lärm im Hintergrund zu achten. »Dort wird man zuerst nach dir suchen. Geh irgendwohin, wo man dich nicht finden kann und führ dort dein Leben so, wie du es willst.«
    Wieder lächelte er. Doch diesmal war sein Lächeln bittersüß, erfüllt mit Sehnsucht und Bedauern. Seine Augen aber blieben ernst. »Irgendwohin, wo es warm ist. Da würde ich jedenfalls hingehen, wenn ich könnte.« Er wandte sich dem zerbrochenen Fenster zu und blickte hinaus in die Ferne. »Irgendwohin, wo es diesen schrecklichen Nebel nicht gibt.«
    »Danke, Christian«, flüsterte sie und blinzelte, da ihr erneut die Tränen in die Augen stiegen. »Ich danke dir.«
    Sie wandte den Blick nicht von ihm ab, obwohl das Hämmern an der Tür immer lauter wurde. Sie wusste, dass sie dieses Gesicht zum letzten Mal sehen würde – ein Gesicht, das so makellos und markant war wie bei jedem seiner Spezies. Es war ein Gesicht voller Qualen, die ihr beinahe das Herz brachen, ein Gesicht, an das sie sich immer

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