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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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seine Lungen brannten und seine Beine schmerzten. Es war immer jemand in der Nähe, der ihn beobachtete und sicherstellte, dass er nicht hinfiel, dass er keinen Unsinn machte, dass er das tat, was er tun sollte, und dass er die Regeln achtete, wie es sich für einen Jungen seines Ranges gehörte.
    Die Freiheit war etwas Neues und Fremdes für ihn.
    Sie war herrlich berauschend.
    Stunden später, am anderen Ende von Sommerley, hockte er nackt auf einer hohen Steinmauer, mit der die Grenze dieses Gebiets markiert war, und blickte in die riesige, unbekannte Welt auf der anderen Seite. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.
    Was wäre, wenn ich einfach weiterlaufe?
    Der Gedanke faszinierte ihn. Für einen langen Moment schwankte er zwischen dem quälenden und starken Bedürfnis, seiner Zukunft, seinem Volk, seinem Erbe und allem, was damit zusammenhing, zu entfliehen, und dem Joch der Pflicht, das seit seiner Geburt auf seinem Nacken lag und ihn fast erdrückte.
    Er war der Erbe des Alpha. Er war die Zukunft der Kolonie. Mit all ihren Privilegien und der Macht, die zu seiner Position gehörten, war er auf eine Weise gebunden, ja gefesselt, wie das keiner der anderen ganz nachvollziehen konnte.
    Er blickte in den warmen Himmel zu dem großen, vollkommenen Mond hinauf. Träumend malte er sich eine Zukunft aus, in der er frei sein konnte, die voller Romantik und wilder Abenteuer war … Und wie von selbst fiel die Entscheidung. Er lächelte den Mond an, stand auf und wollte sich gerade in Nebel verwandeln …
    … als sein Vater die Hand ausstreckte und ihn entschlossen am Handgelenk festhielt.
    »Ehe du gehst«, sagte er leichthin, »hätte ich noch gerne mit dir gesprochen.«
    In einer Mischung aus Schock und Empörung wirbelte Leander herum und entwand sich dem Griff seines Vaters.
    Unglücklicherweise und zu Leanders großem Verdruss war sein Vater einer der wenigen anderen in der Kolonie, die sich ebenfalls in Nebel verwandeln konnten. Seine Gaben waren unvergleichlich und seine Wahrnehmung so scharf wie die eines Falken. Leander war genau deshalb mehr als einmal bei einem jungenhaften Streich oder Ungehorsam erwischt worden.
    »Ich wollte nirgendwo hingehen«, empörte er sich und senkte den Blick.
    Die Miene seines Vaters war undurchdringlich, und sein Gesicht war durch den Baldachin aus Erlenästen verhüllt, der sich über ihnen erstreckte.
    »Nein?«, fragte sein Vater, und seine Stimme klang warm und belustigt. »Da hatte ich aber einen anderen Eindruck.«
    Leander antwortete nicht. Er drehte sich weg und starrte schmollend auf seine Füße, während er laut hörbar die Luft einsog. Er fühlte sich schrecklich gedemütigt und zugleich zornig.
    »Wie auch immer. Du solltest jedenfalls ein paar Dinge wissen, ehe du deine Entscheidung fällst.«
    »Als ob du mich gehen lassen würdest, wenn ich das wollte«, entgegnete Leander trübselig. »Ich darf doch nie irgendetwas tun, was ich tun will.«
    Irgendwo in der Ferne fuhr ein Auto vorbei, das sie aber nicht sehen konnten. Die Landschaft vor ihnen wirkte schwarz und undurchdringlich. Allein das leise Drehen der Reifen auf dem Asphalt einer Straße, die er noch nie gesehen hatte, reichte, um ihn mit einer großen Sehnsucht nach all den Dingen zu erfüllen, die ihm nicht gestattet waren.
    »Wir sind uns sehr ähnlich, du und ich«, sagte sein Vater leise, während er das Gesicht seines Sohnes betrachtete. »Es war schwer für mich, und es wird schwer für dich werden. Ich könnte mir vorstellen, dass es für dich sogar noch schwerer sein wird. Mord, Attentate, Lügen, Spionage … All diese Dinge wird man von dir verlangen. All das und noch mehr, wenn du unser Volk einmal führst. Aber du bist stark, und das ist etwas sehr Gutes. Denn als Anführer der Ikati hast du eine Pflicht, die einen Schwächeren zusammenbrechen ließe.«
    Leander verschränkte die Arme über der Brust und funkelte seinen Vater trotzig und reuelos an. »Ich will kein Anführer sein. Ich will einfach nur, dass man mich in Ruhe lässt.«
    Sein Vater warf ihm einen Seitenblick zu, und sein Lächeln war voller Mitgefühl.
    »Die Dinge ändern sich, Leander. Tag für Tag kommt die Zukunft näher, und die Vergangenheit verschwindet immer mehr. Ob es uns gefällt oder nicht – Veränderungen passieren unweigerlich.« Der Blick seines Vaters wanderte zu der Stelle, wo sich das Licht aus dem Pförtnerhaus safrangelb und golden auf dem Kopfsteinpflaster der Straße sammelte, die von Sommerley

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