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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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er sich in sich selbst zurückzuziehen, kleiner zu werden wie eine Flamme in einem luftleeren Raum. Er war nur noch das Phantom eines Mannes, eingesperrt in dem Zimmer einer Frau, aus dem es kein Entkommen gab.
    »Wie kannst du das wissen?«, murmelte er und blickte in den regennassen Tag hinaus auf irgendeinen Punkt in der Ferne, den sie nicht sehen konnte.
    Weil ich jedes Mal, wenn ich in sein Gesicht blicke, abheben könnte.
    Ihr war nicht klar gewesen, dass sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte, bis Christian sich zu ihr wandte und sie gequält anlächelte.
    »Ja«, sagte er fast regungslos. Seine Augen funkelten. »Das verstehe ich.« Eine Weile sahen sie sich schweigend an. Dann wandte er sich wieder ab.
    »Was wird er mit Morgan tun?« Jenna hörte ihre eigene Stimme wie in einem fernen Traum. Sie schien noch immer nicht ganz in der Wirklichkeit angekommen zu sein.
    Ich liebe ihn. So wahr mir Gott helfe, ich liebe ihn.
    »Man wird sie wahrscheinlich töten.«
    Diese Antwort traf sie wie ein Messerstich und riss sie aus ihrem Traum. Blut schoss ihr in die Wangen. »Natürlich«, erwiderte sie kalt. »Warum auch nicht? Schließlich ist sie ersetzbar. Sie ist ja nur eine Frau.«
    »Es hat nichts mit ihrem Geschlecht zu tun«, sagte Christian und sah aus dem Fenster. »Sie ist eine Verräterin, Jenna. Sie hat es selbst zugegeben. Wegen ihr sind mindestens zwei Männer ums Leben gekommen. Ich vermute, dass sie auch für die Todesfälle in unseren Schwesterkolonien verantwortlich ist. Und falls die Expurgari jetzt wissen, wo wir sind, wenn sie unsere Kolonien auf der ganzen Welt kennen … Dann befinden wir uns in größter Gefahr. Sie hat nicht nur Viscount Weymouth verraten. Sie hat uns alle verraten.«
    Jenna dachte an Verrat aus Rache und daran, wie sehr Morgan diese Männer und ihre Möglichkeit gehasst haben musste, alles in ihrem Leben zu kontrollieren. Sie verstand Morgans Zorn, ihr Gefühl der Machtlosigkeit. Sie dachte an ihren Vater, dass er diesen Ort verlassen hatte, weil er nicht diejenige lieben durfte, die er lieben wollte. Als sie an Leander dachte, kehrte der Schmerz zurück, grub sich durch sie hindurch wie mit Stahlklauen und versenkte sich dann in ihr Herz. Ihre Nägel bohrten sich in ihre Handflächen, und sie war froh, dass es wehtat. Das machte die andere Pein ein wenig erträglicher.
    »Ich frage mich, was du jetzt tun willst?«, unterbrach Christian ihre Überlegungen. Er hob die Hand und strich mit einem Finger langsam über eine Fensterscheibe. Eine milchig verwischte Spur blieb auf dem Glas zurück.
    Sie wandte den Blick ab und richtete ihn auf ihre Hände, die ineinander verkrampft in ihrem Schoß lagen. Langsam holte sie tief seufzend Luft und öffnete die Fäuste. An den Stellen, wo sich ihre Nägel in die Haut gebohrt hatten, waren kleine rote Halbmonde zurückgeblieben.
    »Du sagst das, als ob ich noch eine Wahl in der ganzen Sache hätte. Vermutlich werde ich doch in diesem Zimmer sitzen müssen, beobachtet wie ein Vogel in einem Käfig, bis der Rat beschließt, was mein Schicksal sein soll.«
    Vielleicht würde man sie für immer einsperren. Vielleicht würde man sie töten und neben ihrem Vater begraben.
    Oder vielleicht … Vielleicht würde man sie auch foltern.
    Sie stellte sich vor, dass es Leander wäre, der sie folterte. Deutlich sah sie sein schönes Gesicht vor sich, während er sie mit harter Miene schlug, sie auspeitschte, ihre Haut verletzte und ihr Blut in den Erdboden sickern ließ.
    Vielleicht werden sie auch alle in der Hölle schmoren.
    Jenna unterdrückte die bitteren Tränen, die ihr plötzlich in die Augen stiegen.
    »Nein«, sagte Christian. Jenna blickte zu ihm auf und blinzelte, damit die Feuchtigkeit in ihren Augen verschwand. »Nein. Das geht nicht.« Er starrte sie an, wild und voll Leidenschaft. »Nicht bei dir.«
    Mit einer Hand strich er sich seine dichte schwarze Mähne aus dem Gesicht, drückte die Schultern unter seinem elfenbeinfarbenen Leinenhemd durch und beugte sich dann herab, um einen kleinen Beistelltisch mit einer schweren Marmorplatte zu ergreifen, der neben ihm stand. Ohne zu zögern schleuderte er ihn durch die Fensterfront.
    Ein lautes Klirren erfüllte das Zimmer.
    Jenna hielt sich instinktiv die Hände vors Gesicht, als Glasscherben in jede Richtung flogen. Sie erfüllten die Luft wie tausend winzige Messerklingen. Der Staub des zerschmetterten Marmors und der kaputten Fensterrahmen wirbelte ebenfalls durch die Luft, ehe er sich

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