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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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wollte.
    Leander verschränkte die Arme über der Brust und sah seinen Vater regungslos an.
    »Wie auch immer deine Entscheidung ausfallen mag, mein Sohn – ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    Schweigen.
    Dann seufzte Leander genervt. »Was?«
    »Wenn du heute Nacht mit mir zurückkommen solltest, bleibt diese Unterhaltung unser Geheimnis. Falls deine Mutter nämlich herausfindet, dass ich nicht versucht habe, dich aufzuhalten, wird sie mich umbringen.« Er lachte, während sich seine Brust und sein Nacken ebenfalls in Nebel auflösten und in feinen Streifen um seinen Kopf emporstiegen.
    Dann zwinkerte er Leander zu und löste sich völlig auf. Leander blieb allein in der Nacht zurück.
    Noch immer, viele Jahre später, erinnerte er sich genau an die Worte seines Vaters. Er musste auch jetzt daran denken, als er über die Menge blickte, die sich auf der Einfahrt vor dem Herrenhaus von Sommerley zusammengefunden hatte. Es waren seine Freunde, seine Verwandten und die Anführer seiner Spezies aus der ganzen Welt. Hinzu kamen die meisten Einwohner des Dorfes. Viele Hunderte Ikati standen schweigend und ernst auf dem weißen Kies vor ihm und wurden von dem Regen nass, der jetzt wieder eingesetzt hatte.
    Nur Christian fehlte. Er war zusammen mit Morgan ins Gefängnis geworfen worden.
    Sein Vater und seine Mutter waren tot. Sein Bruder hatte sich gegen ihn gewandt, und seine Schwester befand sich in den Fängen ihres größten Feindes. Vielleicht hatte man sie bereits gefoltert, vergewaltigt oder getötet. Sein Volk stand kurz davor, ins Chaos abzudriften, ihr Stamm war im Begriff, in den Krieg zu ziehen. Und er befand sich knapp vor einem Nervenzusammenbruch.
    Für mich gibt es nur eine Sache auf dieser Welt, die ein solches Opfer rechtfertigt. Nur eine einzige Sache auf der ganzen Welt.
    Sein Vater hatte gewusst, dass er nicht abhauen würde. Leander hatte das inzwischen begriffen. Vielleicht hatte er auch gewusst, dass Leander nur eine Wahl gebraucht hatte. Keiner konnte ein guter Anführer werden, wenn es ihm aufgezwungen wurde, wenn das Bedürfnis, zu schützen und zu dienen nicht ebenso sehr ein Teil seines Wesens war wie das Herz, das in seiner Brust schlug.
    In jener Nacht, die schon so lange hinter ihm lag, hatte er sich entschlossen zu bleiben, weil Sommerley sein Königreich, sein Erbe, sein Leben bedeutete. Er liebte es. Ihm wurde klar, dass er niemals diejenigen im Stich lassen könnte, die auf ihn zählten.
    Er hatte eine Aufgabe. Er war dazu erzogen worden, sie zu erfüllen. Er war für diesen Moment und diesen Kampf herangezogen worden. Er musste sein Volk beschützen und es in Sicherheit bringen, während er gleichzeitig die Gefahr, die ihr aller Leben bedrohte, beseitigte.
    Doch trotz all der Dinge, die er verloren hatte, trotz all der Dinge, die er noch tun musste, trotz seines Zorns, seiner Rachegelüste und seines Hasses, der wie Feuer in seinen Venen loderte, trotz all der Angst, die er in den Augen seiner Leute sah, und der Bedrohung, die so plötzlich und heftig in ihrer Mitte ihr hässliches Haupt erhoben hatte, vermochte Leander in diesem Augenblick nur an eines zu denken.
    An Jenna.
    Sie war seine Leidenschaft. Sie war sein Feuer. Sie war sein Herz.
    Er würde sie finden. Er würde sie finden, weil sie seine Partnerin, seine Königin, seine zukünftige Braut war. Selbst der Tod konnte ihn nicht mehr von ihr fernhalten.
    »Unsere Verteidigungslinien wurden durchbrochen.« Von seiner erhöhten Position auf der obersten Stufe der Marmortreppe, die zu den riesigen Eisentüren des Herrenhauses führte, wurde seine Stimme leicht über die versammelte Menge hinweggetragen. »Unsere Geheimnisse wurden gelüftet. Der Feind liegt auf der Lauer. Wir alle wissen, was das bedeutet. Wir alle wissen, was auf dem Spiel steht.«
    Der kalte Wind wurde stärker und blies das trockene Laub zwischen den Beinen der Versammelten hin und her. Er hob die Säume langer Röcke und Mäntel und ließ Leanders tropfnasse Haare gegen seine Wangen und sein Kinn klatschen. Über ihnen braute sich düster ein Sturm zusammen. Aus unheilvollen, schiefergrauen Wolken fiel der Regen auf den Wald. Die Bäume ragten wie dunkle Klauen in die nasse Luft und erinnerten an Raubtiere, die sich zur Verteidigung bereit machten.
    Leanders Blick wanderte durch die Menge. »Sollen sie doch kommen. Wir sind Ikati. Wir haben seit Jahrtausenden überlebt. Wir werden auch diesen Angriff überleben.«
    Seine Lippen verzogen sich zu einem

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