Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
Vom Netzwerk:
Stimme hinter Jenna. Sie klang lässig und belustigt.
    Jenna wirbelte herum. Beinahe blieb ihr Herz stehen, als sie den Mann unter der offenen Tür entdeckte. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet und stand mit breiten Beinen und verschränkten, dünnen Armen über seiner schmalen Brust da. Selbstbewusst und hinterhältig lächelte er sie an. Dann trat er ein. Drei weitere Männer folgten ihm, die wesentlich größer und imposanter wirkten als der erste. Allesamt hatten sie fürchterliche, gierige Gesichter.
    »Noch eine Streunerkatze, die uns Gesellschaft leisten will.« Der erste Mann breitete die Arme in einer unheimlichen Geste aus, die wohl einen Willkommensgruß signalisieren sollte. »Das freut mich.«
    Mit wild pochendem Herzen bemerkte Jenna die kleine schwarze Tätowierung auf der Innenfläche seines Handgelenks. Mehrere Dinge auf einmal schossen ihr durch den Kopf.
    Er war der rauchende Mann auf dem Foto. Der Anführer. Der Feind.
    Auf einmal war sie sich ihrer Nacktheit schrecklich bewusst. Ihre Haare fielen ihr über die Schulter und die Brüste, und sie hielt noch immer das Stück Metall in ihrer Hand.
    Das hinterhältige Lächeln des Mannes wurde breiter, als seine drei Kumpane wie tollwütige Hunde die Zähne fletschten und auf sie zukamen.

29
    Entweder träumte Jenna … oder sie war tot.
    Es musste eines von beidem sein, das wusste sie. Denn sie spürte keinen Schmerz mehr. Außerdem war ihr Vater da, genauso attraktiv, geschmeidig und jung, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Es war dunkel und feucht, und in der Luft hing ein Duft von Jasmin und Frangipani. Eine wunderschöne, typische Nacht auf Hawaii. Ihr Vater tigerte barfuß und schweigend um die unbeleuchtete Veranda ihres kleinen Hauses und schaute dann auf den leeren Strand unter ihnen.
    Durch die gläsernen Verandatüren sah sie, wie der Wind in den Palmen rauschte und das Mondlicht im Ozean funkelte. Das schwarze, wellige Haar ihres Vaters wurde von den Strahlen des Mondes ebenfalls erfasst, es verlieh den Haarspitzen einen elfenhaft-weißen Schimmer. Sie beobachtete von ihrem geheimen Versteck unter der Treppe aus, wie er vor und zurück lief, unruhig und doch konzentriert. Um sie herum lagen Decken, Kopfkissen und ihr alter Freund Teddy.
    Ein Gefühl des Glücks erfüllte sie wie warmer Honig – rein, golden und vollkommen in seiner Süße. Ihr Vater war da. Er würde sie beschützen. Sie musste nicht länger Angst haben.
    Selbst als er sich in eine Wolke aus Nebel verwandelte und seine Kleidung in einem Haufen aus Jeans- und Leinenstoff zurückließ, hatte sie keine Angst. Er schwebte langsam über den Teppich und verwandelte sich dann in eine riesige schwarze Krähe, die mit den Flügeln schlug und auf dem Glastisch landete, der auf der Veranda stand.
    Nein, sie hatte keine Angst. Solange er bei ihr war, würde alles gut sein.
    Die Krähe wandte den Kopf und sah sie mit ruhigen, klugen Augen an. Ihr Blick hatte etwas Durchdringendes. Sie hüpfte zur Seite, plusterte das Gefieder auf und blinzelte Jenna an.
    Sie kroch unter der Treppe hervor und ging lautlos durch das dunkle Wohnzimmer, den Teddy unter ihrem Arm. Sie trat auf die Veranda hinaus, wo sich die feuchte Luft wie die zärtliche Geste eines Liebhabers auf ihr Haar und ihre Haut legte. Sehnsüchtig streckte sie die Arme aus und flüsterte der Krähe zu.
    »Daddy … Was bist du?«
    Die Krähe gab einen warnenden Schrei von sich und hüpfte erneut ein wenig zur Seite. Dann verwandelte sie sich schlagartig in einen Schmetterling mit Flügeln aus gelbbraunem Bernstein und Gold.
    Einen Moment lang schwebte er über Jennas Kopf, ohne dass sie ihn mit ihrer ausgestreckten Hand erreichen konnte. Still ließ er sich von der schweren, duftenden Luft tragen und flog dann voller Anmut über die Veranda in die tropische, sternenfunkelnde Nacht hinaus.
    Jenna sah ihm nach. In ihrem Herzen loderte ein Feuer. Die Schmerzen, die sie nicht gespürt hatte, als er bei ihr war, kehrten jetzt mit doppelter Heftigkeit zurück. Sie zerrissen fast ihren Geist, ihren Körper und jede dunkle Ecke in ihrer Seele. Der Schmerz zeigte ihr aber auch, dass sie nicht tot war.
    Der Tod sollte etwas Friedliches haben und nicht diese endlose, quälende Agonie. Sie träumte auch nicht. Zumindest nicht mehr. Ihr wurde auf einmal klar, dass sie sich an etwas erinnerte, was schon vor langer Zeit geschehen war und das sie völlig vergessen hatte. Eine Erinnerung, tief in ihr begraben.
    Sie hatte als Kind

Weitere Kostenlose Bücher