Nachtjaeger
sie in die Tiefe zu reißen. Das Geräusch des pochenden Herzens war jetzt so nah, dass es in ihren Ohren widerhallte. Es rauschte durch ihr Blut und übertönte sogar ihren eigenen Herzschlag.
Der rauchende Mann beugte sich noch weiter vor und wartete. Er sprach leise zischend, sodass sie ihn kaum über das Geräusch in ihrem Kopf hinweg verstehen konnte.
»Ja? Was ist, mein hilfloses, kleines Kätzchen? Sag mir, was du glaubst.«
Wieder öffnete sie den Mund, und er kam noch näher – so nahe, dass sie die winzigen roten Blutgefäße sehen konnte, die das Weiß seiner Augen durchzogen. Er hatte sich in letzter Zeit nicht rasiert und noch ein Stückchen Fleisch von seiner letzten Mahlzeit zwischen den Vorderzähnen. Außerdem brauchte er dringend ein Bad. Er kam noch näher, streckte den Arm aus und berührte mit einem langen, feuchten Finger ihren Hals, dort wo ihr Puls schlug.
Sie musterte ihn durch ihre halb geschlossenen Augen von Kopf bis Fuß und lächelte ihn süß an. Ohne den Anflug von Hinterlist.
»Ich glaube, Sie sind sogar noch dümmer, als Sie hässlich sind«, flüsterte sie.
Einen Moment lang herrschte Stille. Er brauchte offensichtlich einen Augenblick, bevor er begriff, was sie gesagt hatte. Dann stand er abrupt auf, ließ die Zigarette auf den Boden fallen und trat den Stuhl mit seinem Stiefel nach hinten.
Sie verspürte ein Gefühl der Befriedigung, dass endlich sein widerliches Lächeln verschwunden war. Erschöpft und zerschlagen ließ sie sich wieder von den Schmerzen mittragen, die sie noch immer durchspülten. Jetzt wurde sie langsam in die Dunkelheit hinuntergezogen.
Imse, bimse, Spinne, wie lang dein Faden ist. Fällt herab der Regen und der Faden riss, kommt die liebe Sonne und trocknet den Regen auf. Imse, bimse, Spinne klettert wieder rauf …
»Gib mir die Zange«, knurrte er mit einer ausgestreckten Hand. Einer der Männer, den sie jedoch nicht sehen konnte, eilte herbei.
Ehe er jedoch das Tablett mit den Werkzeugen erreicht hatte, das so ordentlich auf dem Holztisch ausgestellt war, brach Leander die Tür auf.
Er stürmte ins Zimmer – eine verschwommene Gestalt aus schwarzem Fell und langen, scharfen Zähnen. Mit einem zornigen Fauchen sprang er als Erstes den rauchenden Mann an. Er versenkte seine Klauen in dessen Brust und seine Reißzähne in dessen Hals. Mit einer einzigen Bewegung seiner gewaltigen Kiefer riss er dem Mann den Kopf ab. Dieser rollte in eine Ecke des Zimmers.
Leander verwandelte sich in Nebel, als ein Messer an seinem Kopf vorbeiflog und mit einem dumpfen Knall auf die Wand hinter ihm traf. Der kopflose Körper des rauchenden Mannes sank auf die Knie und brach dann auf dem Boden zusammen.
Leander drehte sich um. Er bemerkte erst jetzt, dass er die Eisentür völlig zerstört hatte. Obwohl sie von beiden Seiten mit Stahlstangen verstärkt gewesen war, hatte er sie mit solcher Wucht getroffen, dass die Stangen entzweigebrochen und die Verankerungen in der Wand herausgerissen waren. Auch ein Teil der Decke war herausgebrochen. Zwei Männer standen jetzt auf der Schwelle und schrien ihm etwas entgegen, während er als weißer Nebel über dem Zimmer schwebte.
Er sah Jenna, die wie eine zerbrochene Porzellanpuppe auf dem Bett unter ihm lag. Nackt, verwundet und von dunklem, klebrigem Blut umgeben. Ihre großen, grünen Augen blickten aus einem Gesicht, das kalkweiß war, zu ihm herauf.
Ein blinder Zorn ergriff ihn wie ein Wirbelwind. Er vermochte nur noch eines zu denken: Ich werde euch alle vernichten.
Ein Schrei aus dem hinteren Teil des Hauses. Er wusste, dass jetzt ein weiterer Expurgario kommen würde. Leander wartete seine Ankunft nicht ab, sondern verwandelte sich wieder in einen Panther und griff an.
Jenna, die immer wieder das Bewusstsein verlor, beobachtete den Kampf um sie herum, während sie weiterhin mit Ketten an das blutdurchtränkte Bett gefesselt war. Das Ganze besaß eine seltsame Langsamkeit, als ob sie einen Film in Zeitlupe ansehen würde. Die lautlose Gewalt besaß beinahe etwas Lustiges, wie ein Videospiel, bei dem etwas schrecklich schieflief. Ein riesiger, schwarzer Panther flog durch den Raum, die muskulösen Vorderläufe weit ausgestreckt, die Klauen gezückt, die scharfen Zähne gefletscht. Jetzt gab er einen schrecklichen Laut von sich, der so klang, als ob sie ihn von weiter Ferne unter Wasser hören würde.
Dann waren da noch die stumm schreienden Männer mit ihren weit offenen Mündern und den hervorquellenden Augen.
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