Nachtjaeger
den Lakai in Livrée, der wie der Fahrer offenbar ein Ikati war und leicht nach vorne gebeugt dastand, während er die Tür hinter ihr offen hielt.
Das Haus war Furcht einflößend, aber auch atemberaubend schön.
Im Garten befanden sich perfekt zugeschnittene Hecken und Begrenzungen aus unterschiedlichen duftenden Kräutern, auf denen Regentropfen wie kleine Juwelen lagen. In der Ferne sah sie sprudelnde Alabasterbrunnen und Statuen, während eine riesige, runde Halle mit zahlreichen Marmorsäulen in dunkles Umbrabraun getaucht war, das von Scheinwerfern, die zwischen den Hecken verborgen waren, angestrahlt wurde. Hinter dem großen Haupthaus erstreckten sich tiefe Täler, die von einem graublauen Nebel verhüllt waren, der sich in dicken Schwaden bis zum dunklen Horizont hinzog – bis zum Wald.
Der Mond war eine weiße Perle am Himmel und tauchte alles in sein bleiches Licht.
Das Zirpen von Grillen und Zikaden, das Quaken von Fröschen und das Knirschen von Kies unter ihren Schuhen begleitete die drei ins Innere des Hauses. Der Bedienstete, der weiße Handschuhe trug, führte sie durch mit Eisen beschlagene Türen, doppelt so hoch wie ein Mensch, ins Foyer. Jenna vermochte kaum an sich zu halten, als sie sah, was sie dort erwartete.
Vom ersten Moment, als sie das Haus betrat, wurde sie von der Schönheit, den Stimmen und dem Widerhall der Schritte fast überwältigt. Christian und Morgan liefen vor ihr, der Lakai folgte. Eine verwirrende Mischung aus Dutzenden verschiedener exotischen Parfüms stieg ihr in die Nase, während die seidenbespannten Wände und die barocken Kuppeln mit ihren eisig glitzernden Kronleuchtern ihr fast den Atem raubten.
Auf den schimmernden Parkettböden lagen schwere persische Teppiche. In jedem Raum, an dem sie vorbeikamen, knisterte in einem großen Marmorkamin ein Feuer, überall standen chinesische Porzellanvasen und Kristallschalen mit duftenden Pfingstrosen sowie Unmengen von Orchideen. Die Tische wiesen Intarsienarbeiten auf, und in einem riesigen Salon schien alles in Gold getaucht zu sein. Uhren tickten, Stoffe raschelten und das Murmeln von Stimmen im Labyrinth des Herrenhauses drang an Jennas Ohr. Überall wurde man an die Wesen erinnert, die durch die Hallen dieses magischen Ortes liefen.
Es gab zahlreiche Statuen von Panthern in verschiedenen Positionen – schleichend und jagend, zum Sprung ansetzend, laufend. Sie waren aus Onyx, Marmor oder Bronze und wahrlich nicht zu übersehen.
»Wenn ich Sie zu Ihren Räumen begleiten darf, Lady Jenna.« Ein anderer Diener in Livrée sprach sie an. Er verbeugte sich tief, wobei er den Blick nach unten gerichtet hielt und zu der breiten, geschwungenen Treppe wies, die in den ersten Stock führte. Auch er strahlte die still vibrierende Kraft der Ikati aus, wie vermutlich alle in Sommerley, selbst die Bediensteten. So wie Morgan von den Menschen sprach, nahm Jenna nicht an, dass sie irgendwelche Angehörige dieser Spezies hier finden würde.
»Oh, bitte«, sagte sie zu dem Mann, der sich immer noch verbeugte. »Nennen Sie mich bitte doch einfach Jenna.«
Das schien ihn zu verblüffen, auch wenn er sich rasch fing und nur noch blinzelte, um ihr so zu bedeuten, dass diese Bitte höchst ungewöhnlich war. »Ja, Madam, wenn es Ihnen Freude bereitet«, murmelte er und glitt dann mehr, als er lief, Richtung Treppe.
Jenna sah ihm stirnrunzelnd hinterher. Lady Jenna?
»Man hat dich erwartet«, erklärte Morgan und nahm sich eine Feige aus einer Waterford-Kristallschale, die auf einer kleinen Anrichte aus Kirschholz stand. Sie drehte die Frucht in ihren Fingern, roch einen Moment daran und legte sie dann wieder in die Schale zurück. »Ich bin am Verhungern. Das bisschen Kaviar, das ich während des Flugs gegessen habe, hat mich nicht einmal annähernd befriedigt.«
Sie strich sich einen unsichtbaren Fussel vom Ärmel ihrer schwarzen Taftbluse und seufzte. Dann warf sie einen Blick in den goldumrahmten Spiegel, der über der Anrichte hing. Die Wand dahinter war cremefarben, und hoch über ihren Köpfen wölbte sich eine Kuppel. Morgans Miene wirkte säuerlich. »Wer erwartet mich?«, fragte Jenna.
»Na ja, alle«, antwortete Morgan. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, und Christian, der mit verschränkten Armen breitbeinig neben ihr stand, schnaubte leise.
»Wir müssen jetzt zu einer Versammlung, Jenna. Wenn du uns also für eine Weile entschuldigen würdest«, sagte er und warf Morgan einen Blick zu. Sie nickte. »Aber wir
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