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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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»Bleib ruhig und mach einfach weiter.«
    Jenna suchte nach den richtigen Worten, und erst als sie diese aussprach, wusste sie, dass sie ernst gemeint waren.
    »Danke«, sagte sie.
    Christian riss den Kopf hoch und starrte sie erwartungsvoll an.
    »Ich meine …« Einen Moment lang wurde sie durch seine leidenschaftliche Aura, die so gefährlich zwischen ihnen loderte, abgelenkt. Sie versuchte, sich zu sammeln und etwas zu sagen, was die Situation nicht noch verschlimmerte. »Ich meine, ich hoffe, dass wir Freunde werden können, denn ich werde Freunde brauchen, und du scheinst mir jemand zu sein, dem ich vertrauen kann.«
    Es tat ihr sogleich leid, diese Worte gewählt zu haben.
    Er schloss die Augen einen Moment lang, länger als für ein Blinzeln. Der gequälte Ausdruck huschte erneut über sein Gesicht, war jedoch sogleich wieder verschwunden. Er öffnete die Augen und sah sie mit einer derart offensichtlichen Gier an, dass sie glaubte, seine Hand auf ihrer Haut spüren zu können.
    »Du solltest mir nicht vertrauen«, sagte er mit rauer Stimme. »Wenn ich der Alpha wäre, hätte ich dich bereits zu der Meinen gemacht – ganz gleich, was du willst. Mein Bruder zeigt zumindest eine gewisse Zurückhaltung.« Er hielt inne, und sie bemerkte, wie atemlos er klang. »Das würde ich nicht.«
    Jetzt wich sie tatsächlich zurück, und zwar nicht nur einen, sondern zwei Schritte. Sie war auf einmal dankbar, dass der Diener noch immer neben der Treppe stand, wo er betont desinteressiert auf seine Schuhe starrte.
    »Das glaube ich nicht«, entgegnete sie verwirrt. »Du bist ein Gentleman.«
    Er gab ein kurzes, hartes Lachen von sich und folgte ihr mit einem langen Schritt. Wieder stand er direkt vor ihr und blickte auf sie herab – groß, männlich, bedrohlich. »Bin ich das?« Er nahm ihre Hand, riss sein Hemd auf, sodass einige Knöpfe absprangen, und drückte ihre Finger auf seine nackte, muskulöse Brust. Dort hielt er sie fest, während Jenna entsetzt versuchte, sich loszureißen. »Du kannst Gedanken lesen, Jenna. Sag mir, was du siehst«, forderte er sie mit loderndem Blick auf. »Sag mir, ob ich ein Gentleman bin.«
    Es gelang ihr, sich von ihm zu befreien. Einige Schritte rückwärtsstolpernd, presste sie vor Schrecken und Wut zugleich die Hand auf den Mund. Die Bilder, die den Bruchteil einer Sekunde lang vor ihrem inneren Auge aufgeblitzt waren, hatten sich ihr eingebrannt. Es war eine Mischung aus Fleischeslust, Zärtlichkeit und intensiven Farben, die ineinander übergingen. Bilder von Jenna und Christian, einander leidenschaftlich küssend und noch leidenschaftlicher liebend, Bilder von Kindern, die ihnen beiden ähnlich sahen. Und einige seltsame, verschwommene Szenen einer großen Menschenmenge, die sich vor ihr verbeugte – gefolgt von einer überwältigenden Flut von Bildern ihrer Lippen, die immer wieder Ja sagten, während sie auf ihm ritt oder sich ekstatisch über ihn beugte.
    Christian sah einen Moment lang den Schock in ihrer Miene, ehe sie es schaffte, wieder freundlich zu wirken. Seine Lippen zuckten freudlos. »Wir sind keine Menschen, Jenna. Vergiss das nicht. Die Ikati sind Tiere. Und wie alle Tiere sind wir nur an drei Dingen interessiert: Hierarchie, Territorium und Fortpflanzung.« Seine glühenden Augen wanderten über ihren Körper, wo sie einen Moment lang verweilten, ehe sie wieder in die ihren blickten. Vor Angst war ihr Mund ganz trocken geworden. »Aber jedes Mal«, fügte er hinzu, »wenn ich dir nahe bin, kann ich nur an eines der drei denken.«
    Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon. Jenna blieb sprachlos und zitternd in der kalten Halle zurück.
    »Man hat einen weiteren Toten gefunden«, erklärte Viscount Weymouth mit angespannter Stimme, als Leander die Ostbibliothek betrat. Ein Feuer knisterte im Kamin. Er blieb in der Tür stehen und musterte die Ratsmitglieder. Jedes Gesicht wirkte aschfahl vor Angst, und man sah ihnen an, dass sie aus dem Schlaf geholt worden waren. Die Augen waren übernächtigt, die Haare zerzaust, die Gesichter unrasiert.
    Die Männer hatten alle Frauen und Kinder, die sie nicht gefährdet sehen wollten. Sie alle besaßen etwas, das sie zu schützen suchten.
    Leander hatte sich nicht die Mühe gemacht, auszupacken, zu essen oder sich auch nur umzuziehen. Er war direkt von der Limousine hierhergekommen. Er wusste, dass man auf ihn wartete – vermutlich schon seit Stunden, und es war seine Pflicht, Entscheidungen zu treffen.

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