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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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Und zwar schnell.
    Mit einer fließenden Bewegung der Schultern streifte er seinen schweren Wollmantel ab. Er warf ihn über einen Stuhl und eilte zu seinem Platz am Kopfende des langen Mahagonitischs. Dort setzte er sich jedoch nicht, sondern hielt sich an der geschnitzten Rückenlehne seines Sessels fest, um die schweigende Versammlung noch einmal zu betrachten. Das trockene Holz knisterte im Kamin, und den Männern schlug hörbar das Herz bis zum Hals.
    Leander nickte Morgan zu, als sie durch die Tür trat und sich auf ihren angestammten Platz setzte. Dann musterte er stirnrunzelnd Christian, der mit grimmiger Miene und einem halb offen stehenden Hemd wenige Minuten später ebenfalls hereinkam. Er würdigte Leander keines Blickes, sondern stellte sich mit verschränkten Armen vor das Feuer und starrte in die Flammen.
    Leander wandte sich jetzt Viscount Weymouth zu. »Was ist passiert?«, wollte er wissen.
    »Diesmal geschah es außerhalb der Quebec-Kolonie. Die Leiche wurde steif gefroren in einem See gefunden, der gerade aufzutauen begann. Man nimmt an, dass sie dort den ganzen Winter über gelegen haben muss.« Der Viscount schob ihm eine französische Zeitung über den Tisch hinweg zu. Auf einem verschwommenen Foto war der nackte Körper eines Mannes zu sehen, der gerade von einigen Polizisten aus einem See gezogen wurde.
    Wie auch der erste Leichnam, der im März außerhalb der Dhaktapur-Kolonie in Nepal gefunden worden war, hatte auch dieser keinen Kopf mehr. Allerdings vermochte man auf dem Bild nicht zu erkennen, ob man ihn ebenfalls verbrannt hatte.
    Leander überlegte. Zwei Leichen innerhalb weniger Monate, vielleicht lagen die Morde sogar nur einige Wochen auseinander, je nachdem, welchen Todeszeitpunkt man bei diesem Toten ermittelte. Beide waren in der Nähe einer Ikati-Kolonie gefunden worden, beide ohne Kopf.
    Es war ein eindeutiger Hinweis auf ihren alten Feind, die Expurgari. Für sie war es typisch, das Opfer zu foltern, es bei lebendigem Leib zu verbrennen und ihm dann den Kopf abzuschlagen. Was mit den Köpfen geschah, wussten die Ikati nicht.
    Aber falls es sich um die Expurgari handelte, warum gab es dann nicht mehr Opfer? Warum griffen sie nicht direkt an?
    »Hat man den Toten schon identifiziert?«, wollte Leander wissen. Er zog die Zeitung zu sich heran, wobei er sich beinahe fürchtete, sie zu berühren. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er erneut das Foto und las dann die Bildunterschrift: Der Leichnam des verschwundenen Aktivisten wurde in einem zugefrorenen See in der Nähe des Tremblant gefunden.
    »Ja«, erwiderte Viscount Weymouth, und seine Stimme zitterte. »Es ist Simon Bennett.«
    Leander merkte, wie er erbleichte.
    Bennett war ein lautstarker Umweltaktivist, der für schärfere Gesetze gegen Umweltverschmutzung, für sauberere Energie und einen allgemein nachhaltigen Lebensstil gekämpft hatte. Es war ihm darum gegangen, Mensch, Tier und Planeten miteinander in Einklang zu bringen. Er hatte sich dafür eingesetzt, die Übervölkerung, die Verschwendung natürlicher Ressourcen und die Zerstörung von Mutter Erde einzudämmen.
    Ausgesprochen lautstark und stets im Zentrum der Aufmerksamkeit hatte er dafür gearbeitet, dass die natürlichen Lebensbereiche von Pumas, Luchsen, Jaguaren und Panthern nicht weiter eingeschränkt wurden.
    Beide Männer, die man getötet hatte, waren wie Viscount Weymouth Hüter der Geschlechter gewesen.
    Leander musterte die Gesichter, die ihm alle zugewandt waren. Er kannte sie alle bereits sein ganzes Leben lang. Es waren Männer, mit denen er entweder aufgewachsen war, oder die er als Junge, als Sohn des Alpha, bewundert hatte. Männer, die er zu schützen geschworen hatte, sobald er selbst Alpha war.
    Falls die Expurgari irgendwelche Informationen von ihren Opfern erhalten hatten, ehe sie diese getötet hatten, wenn sie sie folterten, um ihnen die Geheimnisse ihrer Kolonie zu entreißen, dann war jedes Mitglied, jeder Wohnort ihrer Spezies auf der ganzen Welt gefährdet …
    Er spürte, wie dieselbe Angst in ihm aufstieg, die er in den Gesichtern dieser Männer sah. Er spürte, wie sie sich einer düsteren, gefährlichen Schlingpflanze gleich in ihm ausbreitete.
    »Bewacht die Kolonie. Trefft eure Vorkehrungen. Keiner darf rein, keiner darf raus. Weymouth«, sagte er und wandte sich dem bleichen Viscount Weymouth zu. »Ruf den Alpha-Rat zusammen. Er soll sich so schnell wie möglich hier auf Sommerley einfinden.« Er holte tief Luft und

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