Nachtjaeger
verwandeln können, um ihren Beschäftigungen nachzugehen. Außerdem sollen Dämonen auf riesigen, schwarzen Panthern zu ihren nächtlichen Treffen reiten. Weil uns die Menschen nicht verstanden, verdammten sie uns als Hexen, als Gefährten des Teufels. Damals kamen zum ersten Mal die Expurgari auf …«
»Die Expurgari?«, unterbrach Jenna.
Daria sah Jenna aus blassgrünen Augen an. »Die Läuterer«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, als ob bereits das Wort Böses bewirken könnte.
»Sie sind ein kleiner Ableger der Kirche – ausgebildete Assassinen, die ausgesprochen brutal und militant ihren unerschütterlichen Glauben an das Dogma des Todes vertreten. In ganz Europa wurden Katzen verbrannt, ertränkt, von Kirchtürmen geworfen oder als Zielscheiben verwendet. Wieder zogen sich die Ikati in ihre geheimen Verstecke zurück, um zu überleben. Unsere Kraft und unsere List haben uns geholfen zu überleben, wir haben Reichtümer angesammelt, und unsere Anführer wurden zu Aristokraten in der Welt der Menschen. Dennoch sind wir nicht sicher. Und das werden wir nie sein … Auch wenn es unglaublich erscheint, dass Wesen wie wir, dazu gezwungen werden, sich seit Jahrhunderten zu verstecken, ist genau das der Fall.«
Jenna war von diesen neuen Informationen beinahe überwältigt. Sie musste an ihre Eltern denken und wie auch diese jahrein, jahraus geflohen waren, wie sie gelitten hatten. Ein stechender Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus.
»Sich zu verstecken ist nie die Lösung. Das kann ich dir aus persönlicher Erfahrung sagen.« Sie hob den Blick und sah Leander an, dessen schöne Augen zu schmalen Schlitzen geworden waren. »Irgendwann wird derjenige, vor dem man davonrennt, einen doch ausfindig machen. Ob einem das gefällt oder nicht.«
Er sog hörbar die Luft ein und starrte sie mit ausdrucksloser Miene an.
»Ich kann nur hoffen, dass du falsch liegst«, entgegnete Daria leise. Sie war noch blasser geworden als zuvor. »Denn das würde für die Ikati eine Katastrophe bedeuten.« Sie schüttelte sich und gab dann dem Diener ein Zeichen, ihren Teller wegzuräumen.
Jenna betrachtete erneut die Porträts an der gegenüberliegenden Wand. Sie achtete nicht auf Leanders durchdringenden Blick, während sie die Reihen von Gesichtern musterte, die in üppigen Goldrahmen auf sie hinabsahen.
Das letzte Gemälde stellte Leander dar. Er war in Schwarz- und Brauntönen gemalt, und sein Gesicht wirkte streng und makellos schön. Nur der Schwung seiner vollen Lippen milderte seinen Ausdruck. Auf dem Schild unter dem Bild konnte man lesen: Leander McLoughlin, siebter Earl of Normanton. Neben ihm hing ein weiteres Gemälde: Charles McLoughlin, sechster Earl of Normanton.
Er war ein attraktiver Mann gewesen, nur etwas weniger auffallend und löwenhaft wie sein Sohn. Auch seine Augen hatten grün geleuchtet, und seine breite Stirn hatte ihm einen klugen Ausdruck verliehen. Sein Vater, dachte sie, und war in gewisser Weise überrascht, dass ein so magisches und unwirkliches Wesen Eltern gehabt haben konnte. Leander schien so eigenständig und so mühelos mächtig zu sein, dass sie ihn sich kaum als Kind vorstellen konnte, dem man irgendwann einmal beigebracht hatte, zu laufen, zu sprechen und zu lesen. Es kam ihr viel wahrscheinlicher vor, dass er irgendwo im Himmel unter den Sternen geformt worden war und sich selbst durch seinen Willen auf die Erde befördert hatte.
Ihr Blick wanderte zu Leander, der sie mit einem Ausdruck seltsamer Erwartung ansah. Sie bedachte ihn mit einem Stirnrunzeln, was ihn zu einem amüsierten Lächeln veranlasste.
Mit einem leisen Schnauben sah sie wieder zu den Porträts hin. Ihr Blick fiel auf einen Namen, der schwungvoll in eine der Goldplaketten unter den Gemälden graviert war. Es war das Porträt neben Leanders Vater. Das dritte von hinten, und es hielt jenen Ausdruck stoischer Resignation perfekt fest, den sie so gut kannte.
Rylan Moore, dreizehnter Duke of Grafton.
Das Kristallglas glitt ihr aus den Fingern und zerschlug klirrend auf dem Parkettboden.
13
Jenna entschuldigte sich mehrmals für ihre Ungeschicklichkeit. Daria winkte mit einer eleganten Handbewegung ab und warf ihrem Bruder über Jennas gestammelte Erklärungen hinweg einen scharfen Blick zu. »Deine Überraschung ist völlig verständlich, Jenna. Ich wusste ja nicht, dass man dir noch nichts davon erzählt hat. Eigentlich nahm ich an, dass Leander dir alles dargelegt haben würde, ehe du hier eingetroffen
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