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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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noch nichts gegessen. Warum ziehst du dich nicht an und begleitest mich zum Frühstück?«
    »Habe ich eine Wahl?«
    Er drehte sich mit einem unterdrückten Lächeln um, um ihr Zimmer zu verlassen. »Ich warte draußen auf dich«, sagte er. »Lass dir Zeit.« Die Tür fiel mit einem leisen Klicken hinter ihm ins Schloss.
    Der Raum, in dem sie aßen, war ebenso üppig ausgestattet wie alles in diesem Haus. Farbenfrohe Teppiche hingen an einer Wand, gegenüber befand sich eine Reihe goldgerahmter Porträts, die von oben beleuchtet wurden. Das Frühstück wurde auf Porzellan mit Goldrand gereicht. Frischer Orangensaft wurde in Kristallgläsern serviert, Körbe voller überzuckertem Gebäck und Himbeertörtchen, ein Teller mit blauen Trauben und hauchdünn geschnittenem Camembert, der auf ihren Lippen fast zerschmolz.
    Es gab genug zu essen, um eine kleine Armee zu sättigen, und doch saßen sie nur zu dritt am Tisch. Die Frau, die sich Jenna gegenüber befand, blickte ernst auf ihre feine Porzellantasse. Ihre zarte Hand flatterte wie ein aufgeregter Schmetterling um ihren Hals, während sie zusah, wie der Dampf des heißen Tees winzigen Fingern gleich in die Luft stieg. Obwohl es noch früh am Morgen war, trug sie eine Perlenkette und ein Kleid aus elfenbeinfarbenem Satin, das mit feinen Goldfäden durchwirkt war, die im Sonnenlicht geheimnisvoll funkelten. Ihr Haar war schwarz wie Ebenholz, durchzogen von einigen silbernen Fäden, und ihr streng aus dem fein geschnittenen Gesicht frisiert. Einige lose Strähnen lockten sich um ihre Wangen, als ob sie sich weigerten, gezähmt zu werden. Sie wirkte wie eine seltene, wertvolle Perle, die man gerade erst aus einem Tresor geholt hatte.
    »Leander hat mir erzählt, dass du eine wahre Connaisseuse guter Weine bist, Jenna«, sagte die Frau mit sanfter Stimme. Sie blickte auf und musterte Jenna über den Rand ihrer Teetasse hinweg. Dann trank sie einen kleinen Schluck, ehe sie die Tasse mit dem Blumenmuster wieder auf die Untertasse stellte. Einen Moment lang verweilten ihre sanften Augen auf Jenna. Sie waren von einem helleren, kühleren Grün als die ihrer Brüder.
    Sie war Jenna als Leanders ältere Schwester Daria vorgestellt worden. Leander saß schweigend zu Darias Rechten und betrachtete seinen Teller, als ob dieser ihn beleidigt hätte.
    »Das ist vielleicht etwas übertrieben«, meinte Jenna, während sie beobachtete, wie Leander ein Rosinenbrötchen mit den Fingern zerlegte. Er hatte bisher noch nichts gegessen. »Ich liebe Wein. Ich schätze alles, woraus er besteht, aus der Leidenschaft, der harten Arbeit, der Kunstfertigkeit. Aber ich habe kein Geld, um Wein zu sammeln. Aber zumindest habe ich eine Freundin, die das tut.« Jenna musste lächeln, als sie an Mrs. Colfax dachte. »Sie hat mir alles beigebracht, was ich über Wein weiß.«
    Daria erwiderte ihr Lächeln. Diese Augen wurden wärmer. »Es ist gut, Freunde zu haben«, entgegnete sie. »Leute, die einem beistehen, wenn man es braucht.« Sie richtete den Blick wieder auf ihren Teller, nahm ihre Gabel und spießte ein Stück Melone auf die goldenen Zinken.
    »Das stimmt«, murmelte Leander. Er gab dem Diener ein Zeichen. Dieser trat daraufhin mit einer silbernen Schüssel an den Tisch und servierte Jenna einige Scheiben Rindfleisch-Carpaccio, die man so dünn geschnitten hatte, dass sie fast durchsichtig wirkten, und mit Olivenöl beträufelt waren.
    »Das ist sehr wahr«, meinte Jenna. »Manchmal frage ich mich allerdings, wie man Freunde von Feinden unterscheiden kann. Es passiert schnell, dass man von einem Wolf im Schafspelz verführt wird.«
    Sie beobachtete, wie sich Leanders Mund zu einem hämischen Lächeln verzog. Das Rosinenbrötchen in seinen Fingern war inzwischen in kleine Stückchen zerbröselt, die auf seinem Teller lagen und fast an Staub erinnerten.
    »Das stimmt«, erwiderte Daria. »Die Leute können ziemlich unzuverlässig sein, nicht wahr? Aber auf die Familie kann man sich immer verlassen.«
    Wieder lächelte sie Jenna an. Ihre Miene wirkte offen und einladend. »Du wirst mehr von ihnen auf dem Fest kennenlernen«, fügte sie locker hinzu.
    Jenna sah sie überrascht an. »Mehr von wem?«
    »Von der Familie«, erwiderte Daria noch immer voll Leichtigkeit. Das Ganze kam Jenna recht rätselhaft vor.
    »Morgan hat darauf bestanden, dass wir dir zu Ehren ein Fest geben, Jenna. Du erinnerst sich?«, mischte sich Leander ein. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen. Sie hat nicht oft Gelegenheit,

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