Nachtjaeger
erleichternd.«
Er seufzte.
Sie sah ihn an und lächelte. Ihre grünen Augen schimmerten hell. »Wie schlimm kann es denn schon sein, wenn es nur noch eine kleine Sache ist.«
Er betrachtete sie. Sie war erstaunlich widerstandsfähig – eine Frau mit eisernem Willen, die etwa so stark aussah wie eine Marzipanrose.
Aber sie musste ihr Leben lang tough sein, dachte er plötzlich. Ihr blieb gar nichts anderes übrig.
»Die Ikati werden angegriffen«, sagte er und verlor sich in ihrer milchweißen Haut, den eleganten Linien ihres Halses und der sanften Wölbung ihrer Brust. Sie wirkte so taufrisch wie der Morgen, schimmernd wie eine Perle im Sonnenlicht. »Jedenfalls haben wir triftige Gründe, das anzunehmen.«
»Angegriffen?«, wiederholte Jenna überraschend gelassen. Sie musterte ihn einen Moment lang von Kopf bis Fuß, ehe sie sich wieder dem dunklen Wald in der Ferne zuwandte. »Nun, das muss aber sehr unangenehm für dich sein. Ich weiß doch, wie ungern du dich verteidigst.«
Er schaute weg und stand einen Augenblick lang regungslos da, die Hände hinter dem Rücken verborgen.
Eine Weile sprach keiner der beiden ein Wort.
»Das stimmt«, sagte er schließlich leise und ohne einen Anflug von Ironie. »Das trifft mehr zu, als du ahnst, Jenna. Ich bin dazu erzogen worden, mein Leben lang der Gewinner zu sein. Man erwartet von mir, dass ich führe und Entscheidungen treffe, dass ich gewinne. Ich nehme weder meine Verantwortung noch meine Stellung auf die leichte Schulter. Das kann ich gar nicht. Ich bin der Alpha. Unmengen von Leuten hängen von mir ab – Frauen, Kinder und Familien, die ich um jeden Preis beschützen muss. Es ist eine privilegierte Position, aber auch eine große Last, weil ich niemanden habe, mit dem ich sie teilen kann. Es gibt niemanden, der versteht, wie sehr ich mich vor dem Verlieren fürchte. Wenn ich scheitere, dann scheitern die Ikati. Wenn ich verliere …«
Er drehte sich zu ihr. »Dann verlieren wir alle.«
»Verlieren«, wiederholte sie und blickte erneut in Richtung des Waldes, den Blick verschwommen. Das morgendliche Licht schimmerte auf ihren hohen Wangenknochen und spielte mit den Spitzen ihrer langen Wimpern, die dadurch golden wirkten. Dann richteten sich ihre Augen wieder auf Leander, um ihn aufmerksam zu mustern. »Ich frage mich, ob jemand wie du tatsächlich weiß, was Verlieren wirklich bedeutet.«
»Wir alle haben Dinge, die wir nicht verlieren möchten, Jenna. Selbst ich. Vor allem ich. Mein Volk ist in Gefahr, unsere Art zu leben ist in Gefahr.« Er kam einen Schritt näher und sog den sanften Duft des Taus und der Rosen ein, der ihr auf der Haut hing. »Du bist in Gefahr«, fügte er mit heiserer Stimme hinzu. »Und das ist etwas, was ich nicht hinnehmen werde.«
Jenna protestierte nicht. Sie wich auch nicht zurück, wie er das erwartet hatte. Sie akzeptierte seine Nähe vielmehr ohne Kommentar und ohne Regung. Aber sie senkte auch den Kopf und sah zu Boden.
»Du hast recht«, murmelte sie. »Wir haben alle Dinge, die wir nicht verlieren wollen.« Ihre Wangen röteten sich. »Dinge wie Glauben, Vertrauen, Hoffnung – alles, das uns als wichtig beigebracht wurde. All diese Rettungsanker wie Ritter auf weißen Schimmeln. Wie eine zweite Chance.« Sie senkte die Stimme, sodass sie kaum lauter als ein Flüstern war. Dennoch hörte er die Traurigkeit, die darin lag. »Wie wahre Liebe. Und was die Gefahr betrifft …« Langsam blickte sie auf und sah ihm ins Gesicht.
Leander hörte alles um sie herum in einem Umkreis von dreißig Kilometern: Das Flüstern des Windes in den Bäumen, das Plätschern des Flusses Avon, wie er über Felsen und polierte Steine floss, die Vögel im Himmel, die Eichhörnchen im Wald, die Maulwürfe tief in ihren Bauten unter der Erde.
Doch am lautesten hörte er Jennas Herz. Es schlug stark und wahrhaftig, erfüllt von einem heiß wallenden Blut. Es war ein Pochen und Hämmern, das ihn so sehr in Bann zog, dass er am liebsten sein Leben lang nur noch diesem Geräusch gelauscht hätte.
All seine Sorgen um sein Volk, all sein Zorn über seine Feinde schienen dahinzuschmelzen, und statt ihrer gab es nur noch Jenna. Den Schlag ihres Herzens. Die kühle Umarmung des Morgens, den sie mit ihm teilte.
»Ich habe keine Angst vor Gefahr«, sagte sie. »Sonst wäre ich niemals mit dir hierhergekommen. Wovor ich Angst habe … Es ist etwas, was nur du mir geben kannst, Leander, und ich hoffe …« Sie schloss die Augen. »Obwohl ich weiß,
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