Nachtjaeger
wie ein Kolibri in ihrer Brust flatterte. »Die Ikati sind keine Hunde, Jenna. Wir leben nicht in Rudeln, obwohl wir Alpha, Hierarchien und mehr als genug Gesetze und Regeln haben«, erklärte sie langsam. Sie schluckte, ehe sie fortfuhr. »Wir sind KATZEN . Und jedes Katzenrudel hat eine Königin.« Sie machte wieder eine Pause. »Allerdings hatten die Ikati keine mehr seit Marie Antoinette. Sie war die mächtigste Alpha ihrer Zeit, um vieles begabter als die männlichen Alpha. Sie war die letzte wahre Königin.«
»Hat ihr offenbar nicht viel genützt«, murmelte Jenna ohne einen Anflug von Ironie in der Stimme.
Morgan schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht, worum es hier geht. Der Königin von Frankreich wurde alles gestattet, weil sie so war, wie sie war. Sie hatte ihr Schicksal in der Hand. Wäre sie eine andere Ikati gewesen, hätte das Gesetz sie in Fesseln gelegt, so wie es das mit uns anderen tut. Das mag jetzt vielleicht weit hergeholt sein, aber wenn ich recht habe …«
Morgan holte tief und zitternd Luft. »Schließ einfach die Augen und sag mir, was du sehen kannst.«
Jenna starrte sie verwirrt an. »Warum?«
»Weil es wichtig ist.«
Jenna zog die Augenbrauen hoch.
Morgan holte erneut zitternd Luft. »Weil es sehr wichtig ist.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Bitte!«
Jenna stöhnte genervt auf. »Ich weiß bereits, was ich sehen kann. Das Licht! Das habe ich dir doch schon erklärt!«
Morgan sagte nichts, faltete aber die Hände vor ihrer Brust, wie um Jenna stumm anzuflehen.
»Also gut«, erwiderte diese durch zusammengebissene Zähne. »Aber du wirst enttäuscht sein. Außerdem schuldest du mir dann was.« Sie schloss die Augen.
Zuerst sah sie nichts außer das bernsteinfarbene Schimmern des Sonnenlichts hinter ihren Lidern. Zwei Singvögel begannen, draußen vor dem Fenster zu zwitschern – eine helle Melodie, die sich immer höher zu schrauben schien und die Luft mit ihren hellen Klängen erfüllte. Jenna seufzte frustriert auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Entspann dich, Jenna«, murmelte Morgan. »Lass los und konzentrier dich auf deine Atmung.«
Einatmen, Ausatmen. Sie entspannte ihren Körper und spürte dabei ihre Erschöpfung so sehr, dass sie befürchtete, selbst aufrecht stehend jeden Moment in Tiefschlaf zu versinken. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Hand vor den Mund zu halten, als sie gähnen musste. Dann bemerkte sie, wie sich ihr Herzschlag verlangsamte. Etwas sank in ihre Zellen und schien die Zeit um sie herum aufzuweichen. Sie hörte nur noch das gedämpfte Ticken der Uhr auf dem Kaminsims und das schwache Echo von Morgans Atmen. Ein warmes Gefühl überkam sie, als ob man Honig über ihre Haut gießen würde.
Auf einmal überkam sie mit einem Atemzug eine stille Klarheit, so plötzlich, als hätte sie bereits seit Langem auf Jenna gewartet – als hätte es für sie nie etwas anderes gegeben, als mit geschlossenen Lidern zu sehen.
Bilder: ein nächtlicher Himmel, schwarz, klar, wolkenlos. Irgendwo auf dem Land, wo keine anderen Lichtquellen die jungfräuliche Dunkelheit stören konnte. Stille. Dann, nach einem Moment erwartungsvoller Anspannung ein Schimmern. Ein Stern.
Zuerst funkelte ein Stern – ein heller Punkt auf einem schwarzen Hintergrund aus Samt. Er schien so nah zu sein, dass sie glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um ihn berühren zu können. Dann ein weiteres schimmerndes Licht, wieder sehr nahe, doch diesmal blutrot. Dann noch eines und noch eines, glitzernd und hell und alle ganz nahe bei dem ersten.
Plötzlich leuchteten Tausende von Sternen auf.
Sie funkelten am dunklen Himmel, schimmerten und leuchteten und riefen Jenna mit einer wunderschönen, sehnsuchtsvollen Melodie. Die Töne durchliefen ihre Sinne wie ein warmer Zephir, wie ein seidiger, lebendiger Wind. Er ließ sich in ihrem Inneren nieder, als ob er schon seit Jahren darauf gewartet hätte, als ob er nur für sie sein Lied singen würde.
Sie sah überall Ansammlungen von Lichtpunkten, wie Galaxien im Universum – wunderschön, unwirklich und bis ins Unendliche um sie herum ausgebreitet. Die Sterne pulsierten mit einer heißen Kraft, wobei jeder eine andere Farbe, Form und Größe hatte. Jeder rief sie, jeder sprach sie direkt an.
Das eindringlichste Lied kam von dem leuchtend roten Stern. Jenna erzitterte.
Das Beben begann in ihrem Innersten, im Zentrum ihres Bauchs, und breitete sich dann über Arme und Beine aus. Es verwandelte sich in
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