Nachtjaeger
Versprich es mir. Dann werde ich dir versprechen, dir dafür auch etwas zu geben. Was immer du willst, und was immer ich dir geben kann.«
»Alles?«, fragte Morgan, die plötzlich angespannt wirkte. »Du gibst mir alles, was ich will? Ist das ein Versprechen?«
»Ja, das ist ein Versprechen.«
Jennas Augen fielen zu. Doch sie riss sie wieder auf, als sich Morgans Fingernägel in das Fleisch ihrer Hand vergruben. Sie beugte sich zu ihr, die Augen groß und dunkel, und sah sie eindringlich an.
»Ich will, was mir immer vorenthalten wurde, was für andere selbstverständlich ist. Ich will, was du hast, Jenna. Ich will frei sein. Ich will Sommerley verlassen können und nie mehr hierher zurückkehren. Ich will mir auch keine Sorgen machen müssen, dass man mich sucht und jagt. Wenn du Leander dazu bringen kannst, mich gehen zu lassen, dann werde ich niemandem ein Sterbenswörtchen verraten. Ich werde dir sogar helfen, hier rauszukommen. Du hast mein Wort.«
Die unterdrückte Leidenschaft in Morgans Stimme überzeugte Jenna.
Sie sank zur Seite, und ihr Kopf fiel auf das Kissen. »Abgemacht«, murmelte sie bereits halb schlafend. »Aber verrat es niemandem. Das wissen nur wir beide … Für den Moment … Und ich werde Leander überreden, dich ziehen zu lassen … Ich bin mir sicher, dass ich einen Weg finden werde, ihn zu überzeugen …«
Die Dunkelheit begann sich wie eine warme, weiche Decke über sie zu legen.
Sie schlief beinahe, als sie Morgan noch etwas flüstern hörte. Etwas Gequältes, Worte voller Selbsthass. Fast klang es so, als ob sie um Vergebung bitten würde.
Doch ehe Jenna fragen konnte, wofür Morgan um Vergebung bat, sank sie in tiefen Schlaf.
17
Der Raum war voll.
Viel zu voll, dachte Leander, während er den Blick über die Lakaien an der Wand zur Galerie, die entzündeten Kerzenleuchter und das Meer aus Satin und Spitze wandern ließ, in dem sich raschelnd und knisternd die Damen bewegten. Die Frauen der Ratsmitglieder und der anderen Alpha hatten sich für diese Gelegenheit herausgeputzt. Es war eine Dinnerparty, die er nicht hatte geben wollen.
Bei einer anderen Gelegenheit. In ihm stieg der Zorn auf. Bei einer anderen Gelegenheit wäre es für mich kein Problem gewesen, das zu unterbinden. Doch nachdem sich der Rat der Alpha traf, war er einfach überstimmt worden. In seinem eigenen Heim!
Es war der reine Wahnsinn.
Jetzt war nicht die Zeit für Festivitäten und dummes Geplauder. Es war auch der falsche Zeitpunkt dafür, dass sich die gesamte Führungsriege der Ikati an einem Ort versammelte, wo sie ein leichtes Ziel abgaben. Während der letzten vierundzwanzig Stunden waren die Alpha der anderen Kolonien in Sommerley samt ihren Familien, Abgesandten und Gefolgsleuten eingetroffen. Sie würden einen Tag, eine Woche oder auch einen Monat bleiben – je nachdem, wie lange es dauern würde, bis sie zu einer Übereinkunft kamen, welche Vorkehrungen getroffen werden mussten und was man hinsichtlich der Expurgari unternehmen wollte.
Genauso wichtig war die Frage, wie man mit Jenna Moore verfahren sollte, einer Ikati, die nicht tat, was man ihr sagte.
Auf Anweisung des Rats – und gegen Leanders explizite Wünsche – hatte man Jenna seit vier Tagen als Gefangene in ihren Räumen gehalten. Sie galt jetzt als eine unbekannte Größe, als eine mögliche Bedrohung. Noch hatte sie vor dem Rat nicht ihre Gestalt gewandelt, war in den Wald geflohen und hatte sich geweigert, irgendwelche Fragen zu beantworten oder auch nur eines der Ratsmitglieder zu treffen.
Im Rat ging sogar das Gerücht um, dass sie möglicherweise mit denjenigen unter einer Ecke steckte, die jetzt die Ikati verfolgten. Mochte das nun aus Wut oder aus Rache geschehen – Jenna hatte guten Grund für beides und die Möglichkeit, sich gegen sie zu stellen.
Leander war gerade noch davon abgehalten worden, dem Mann, der diesen Verdacht geäußert hatte, den Hals umzudrehen. Er erinnerte den Rat aufgebracht daran, dass Jenna nichts über ihren Vater gewusst hatte, bis er es ihr erzählt hatte.
Sie wurde von jeweils vier Männern rund um die Uhr bewacht. Man brachte ihr Essen und Wasser auf einem Silbertablett und gestattete ihr, jeden zu sehen, den sie sehen wollte. Jenna jedoch ließ nur Morgan zu sich. Dieses Verhalten war bisher toleriert worden. Aber Leander wusste, dass der Rat allmählich unruhig wurde. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, ehe man sie dazu zwingen würde, unwiderlegbare Beweise zu
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