Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
und was mit einem sanften Streicheln begann, wurde wenig später zu einer leidenschaftlichen Vereinigung, die dieses Mal um einiges länger dauerte.
Eine Stunde später schliefen beide fest umschlungen und trotz der Enge des Sofas miteinander ein.
Anja stieß einen spitzen Schrei aus, dann erst realisierte sie, wo sie war, und dass das scheppernde Geräusch aus der oberen Etage gekommen war. Als kurz nach dem Lärm Geralds schimpfende Stimme bis zu ihr herunterdrang, beruhigte sie sich wieder, doch nur um sofort hektisch zu werden. Florian, der auch langsam aufwachte, lag ebenso nackt wie sie selbst neben ihr und sie wollte auf keinen Fall, dass ihr Bruder das hier sah. Ohne auf Florians murrenden Widerstand zu achten, schälte Anja sich aus der Decke und griff sofort nach ihrer Wäsche, die noch immer neben dem Sofa lag. Mit der anderen Hand warf sie Florian seine Unterhose und die Jeans zu und zischte: »Zieh dich bitte an, mein Bruder kommt jeden Augenblick herunter.«
Beide schafften es gerade noch rechtzeitig das Nötigste überzustreifen, als Gerald auch schon in der Tür auftauchte, mit emotionsloser Mimik auf Florian zeigte und monoton erklärte: »Fremder Mann ... Mama will das nicht!«
Florian wusste zwar, dass Anjas Bruder Autist war, dennoch hatte er keine Ahnung, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Glücklicherweise erfasste Anja die Situation richtig. Sie ging erst zu Gerald und sagte betont locker: »Guten Morgen, Brüderchen.« Denn sie wusste, dass er diesen Satz warum auch immer liebte, dann nahm sie seine Hand und zog ihn sanft in Richtung Florian. Anschießend winkte sie Florian zu sich, nahm dessen Hand ebenfalls und drückte die beiden Hände zusammen. Nun trat sie einen Schritt zurück und sagte zufrieden in Richtung ihres Bruders: »So, nun seit ihr keine Fremden mehr. Das ist unser Freund Florian und Mama kennt ihn auch schon.« Die kleine Lüge zeigte sofort Wirkung. Gerald zog Florian mit überraschender Kraft zu sich heran und umarmte ihn fast stürmisch, wobei er immer wieder »Unser Freund, unser Freund« wiederholte.
Nachdem diese Zeremonie überstanden war, bereitete Anja ein schnelles Frühstück und verabschiedete anschließend Gerald, der pünktlich um 7:30 Uhr von seinem Fahrdienst abgeholt wurde. Danach kehrte sie in die Küche zurück, umarmte Florian von hinten und fragte: »Kannst du bleiben?«
Er schüttelte leicht den Kopf: »Leider nein. Ich habe um halb neun einen Termin bei meinem Professor. Es geht um meine Praxisstelle, da kann ich unmöglich absagen.«
Enttäuscht drückte sich Anja noch ein wenig fester an ihn, warf einen Blick auf die Uhr und seufzte: »Dann solltest du jetzt los. Der nächste Bus fährt in einer viertel Stunde und danach kommt lange keiner mehr.«
Die anschließende Verabschiedung hätte den Anschein erwecken können, als würden sie sich eine Ewigkeit nicht mehr sehen, dabei versprach Florian, schon am Nachmittag wieder zurückzukommen.
Nachdem sich Anja eine weitere Tasse Kaffee gemacht hatte, zog sie sämtliche Rollläden nach oben und trat auf die Terrasse. Der gestrige Herbststurm hatte sich verzogen und einem stahlblauen Himmel Platz gemacht. In der nun vorherrschenden Morgensonne, die sich gerade über die Wipfel des nahen Waldes schob, kamen ihr ihre Ängste vom Vortag fast schon lächerlich vor. Der Garten lag friedlich vor ihr und die zurückgebliebenen Vogelarten lieferten sich kleine Kämpfe um die besten Würmer und Maden auf der nassen Wiese. Anja nahm einen Schluck des heißen Kaffees, zündete sich eine Zigarette an und dachte über ihr weiteres Vorgehen nach. Zuerst würde sie versuchen, den für ihre Mutter zuständigen Arzt zu erreichen, dann musste sie ihren eigenen Chefarzt anrufen und diesem beibringen, dass sie eine Weile ausfallen würde. Blieb nur zu hoffen, dass sie das Praxisjahr nicht wiederholen musste.
Nach der Zigarette ging sie schlecht gelaunt zurück ins Haus, doch als ihr Blick auf das zerwühlte Sofa fiel, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die letzte Nacht war eine besondere Erfahrung gewesen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit echter Hingabe Sex gehabt hatte, und sie hatte das Gefühl, dass alles, was sie bisher für andere Männer empfunden hatte, eine Lüge gewesen war. Florian war etwas Besonderes und selbst seine sanft dominierende Art stellte erstaunlicherweise kein Problem für sie dar.
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Zwei Anrufe später war klar, dass sie noch mindestens zwei
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