Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
dann nur: »Das ist ein schwieriges Thema.«
Anja sah ihn verwirrt an: »Was meinen Sie damit? Es ist doch offensichtlich, dass wir bedroht werden.«
Wieder ließ der Beamte einige Zeit verstreichen, bevor er antwortete: »Natürlich ist das für Sie eine scheinbar bedrohliche Situation, aber im rechtlichen Sinne ist das alles so gut wie überhaupt nichts. Wir wüssten ja noch nicht einmal, wen wir verwarnen sollten, oder haben Sie diesen Mann schon einmal zu Gesicht bekommen?«
»Nein, aber ...« Anja wollte ihrer aufkeimenden Wut Luft machen, doch der Polizist würgte sie sofort ab. »Also, wir machen jetzt Folgendes: Meine Kollegin und ich drehen eine Runde um das Haus, vielleicht finden wir ja tatsächlich einen Hinweis darauf, dass Sie von dort jemand beobachtet.« Nun änderte sich sein Tonfall ins Väterliche und er versuchte beruhigend zu klingen: »Sie dürfen nicht glauben, dass wir solche Dinge nicht ernst nehmen, aber in 95 Prozent der Fälle handelt es sich entweder um einen Streich oder die Betroffenen bilden sich nur ein, verfolgt zu werden.«
»Und diesen Anruf habe ich mir auch nur eingebildet?«, platze Anja heraus.
»Aber das behauptet doch keiner.« Nun war es die Polizistin, die beruhigen wollte, doch auch sie wurde von ihrem Kollegen unterbrochen. »Nein, das behaupten wir nicht und sollte sich das wiederholen, werden wir uns auch über eine Überwachung Ihres Telefons unterhalten können. Aber wie ich schon sagte, im Augenblick ist das alles noch zu dünn, um überhaupt tätig werden zu können. Seien Sie einfach etwas vorsichtiger und haben Sie einen Blick auf Ihren Bruder, dann, und da bin ich mir recht sicher, erledigt sich das von alleine.«
Als die beiden Beamten ihre Runde um das Haus erfolglos beendet hatten, sah Anja noch kurz dem Polizeiwagen hinterher, schloss die Haustür und stellte zur Sicherheit noch einen Stuhl unter die Klinke.
12
Obwohl es erst 20 Uhr war, sah Anja ihrem Bruder an, wie müde dieser war. Erst der Besuch im Krankenhaus und dann noch die beiden Polizisten hatten ihn geschafft. Da Anja den ungefähren Ablauf ihrer Mutter kannte, schaffte sie es, dass Gerald eine viertel Stunde später in seinem Bett lag und versprach schlafen zu wollen.
Auch an Anja war dieser Tag nicht spurlos vorübergegangen, doch sie war noch viel zu aufgekratzt, um sich ins Bett zu legen. Nach einer weiteren Zigarette wollte sie sich einfach nur vor den Fernseher setzen und versuchen etwas abzuschalten, als erneut die Türklingel ertönte und ihr Herz schneller schlagen ließ. Für einige Augenblicke schaffte es Anja nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Was sollte sie tun? Gleich die Polizei anrufen und damit eventuell ihre Glaubhaftigkeit aufs Spiel setzen, oder konnte sie es wagen zur Tür zu gehen? Nachdem es ein weiteres Mal geläutet hatte, fasste sie einen Entschluss, ging zur Tür und versuchte betont selbstsicher zu klingen: »Wer ist da?«
»Ich bin es, Florian«, hörte sie seine gedämpfte, aber vertraute Stimme. Trotz ihrer Erleichterung fragte sie durch die immer noch geschlossene Tür: »Warum bist du hier, wir wollten uns doch erst morgen treffen?« Dann fiel ihr selbst auf, wie albern sie sich verhielt. Sie schob den Stuhl beiseite und öffnete die Tür.
Florian hatte damit begonnen, von einem Fuß auf den anderen zu wechseln, da die Temperatur inzwischen deutlich gesunken war. In einer Hand hielt er eine Flasche Rotwein und in der anderen drei große Pizzakartons. Als er Anjas Gesicht sah, hob er die Hand mit den Pizzen hoch und erklärte: »Heiß sind die jetzt nicht mehr.«
Anja ging nicht darauf ein, sondern sagte etwas gehetzt: »Komm rein.« Dann schloss sie die Tür wieder und schob erneut den Stuhl unter die Klinke.
Florian beobachtete ihr Tun, stellte die Schachteln auf der Kommode ab und fragte: »Was ist denn hier los, warum dieser Aufwand?«
Anja drehte sich zu ihm um, versuchte ein Lächeln und sagte: »Das ist eine längere Geschichte. Ich habe schon versucht, dich auf dem Handy zu erreichen, aber dein Akku ist wohl leer.« Nach einem verlegenen Blick auf den Boden fügte sie noch hinzu: »Bitte entschuldige meine unfreundliche Begrüßung, es ist schön, dass du hier bist.«
Florian ging einen Schritt auf sie zu und gab ihr nach einer kurzen Umarmung einen vorsichtigen Kuss auf den Mund.
Eine halbe Stunde später hatte Anja ihre Geschichte erneut erzählt und Florian nahm die Sache wesentlich ernster als die beiden Polizisten.
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