Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
etwas langsamer und wagte einen Blick zurück. Nichts deutete in dem kurzen Waldstück darauf hin, dass sich dort irgendjemand herumtrieb. Es war wie heute Morgen auf der Terrasse, je länger sie hier draußen in dem Licht der Herbstsonne lief, umso mehr verlor dieser Anruf seine Schärfe, dennoch stand ihr Entschluss fest, sie würde zur Polizei gehen.
Der Bus kam fast in dem Moment, als auch sie die Haltestelle erreichte. Erleichtert stieg sie ein und blieb sitzen, bis sie Erlangens Busbahnhof erreicht hatten.
Nach weiteren 20 Minuten, die sie zu Fuß quer durch Erlangen zurücklegte, war Anja nervlich wieder so weit erholt, dass sie sich den zweifelnden Fragen der Polizei stellen konnte. Sie atmete noch einmal tief durch, betrat die Hauptwache, wartete, bis ihr eine weitere Tür geöffnet wurde und trat an den Tresen. Ihr gegenüber stand zufällig die junge Polizistin vom Vortag, die sie erst musterte und dann feststellte: »Frau Lange, wir waren doch gestern bei Ihnen, oder?«
Anja entspannte sich etwas: »Ja, genau ... Sie und Ihr Kollege.«
»Und was kann ich für Sie tun?«
Anjas Hände spielten mit der Visitenkarte des älteren Polizisten, die sie nun nicht mehr brauchte, dann sagte sie mit möglichst fester Stimme: »Ich wurde wieder angerufen und dieses Mal hat mir der Mann konkret gedroht.«
Die Polizistin zog erst eine Augenbraue hoch, dachte kurz über das Gehörte nach und beschloss: »Kommen Sie bitte mit. Mein Kollege hat oben sein Büro, dort können wir Ihre Aussage aufnehmen und die weiteren Schritte besprechen.«
Als Anja kurz darauf mit den beiden Beamten um einen alten Holztisch saß, hatte sie erneut das Gefühl, selbst die Angeklagte zu sein. Der ältere Polizist, der sich mit Polizeihauptmeister Mayer vorgestellt hatte, ließ keine Möglichkeit aus, um die Ernsthaftigkeit von Anjas Aussagen abzuschwächen. Immer wieder stellte er Gegenfragen, wie »Und Sie haben dem Anrufer nicht das Gefühl gegeben, dass Ihnen etwas an ihm gefällt?«.
Nach einer weiteren viertel Stunde unterschrieb sie ihre Aussage in dem sicheren Wissen, vorerst keine Hilfe zu bekommen. Man hatte ihr klar gemacht, dass es selbst für die Überwachung des Telefons noch viel zu früh war und dass andere so etwas schon ein Jahr und länger erdulden mussten, es aber nur sehr selten zu echten Übergriffen kam.
Frau Krämer, die junge Polizistin, begleitete sie zurück zum Hauptausgang und Anja wollte sich schon verabschieden, als die Beamtin eine Visitenkarte aus ihrer Hose zog, ihr hinhielt und einfühlsam sagte: »Sie können auch mich anrufen, wenn noch etwas vorfallen sollte. Unsere älteren Kollegen wissen oft nicht, wie belastend eine solche Situation sein kann. Auch wenn sich alle streng nach Dienstvorschrift verhalten, heißt das noch lange nicht, dass sie sich auch menschlich verhalten.«
Erstaunt über diese ehrliche Aussage nahm Anja das Kärtchen entgegen, bedankte sich mit einem Lächeln und verabschiedete sich anschließend. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und stieß einen Fluch aus. Sie hatte völlig vergessen, dass Gerald heute schon früher nachhause kam. Genauer gesagt schon in zehn Minuten, und er hatte noch nicht einmal einen Schlüssel dabei. Wieder kam ihr das Bild des gestrigen Abends in den Sinn, als ihr Bruder am Waldrand stand und sich scheinbar mit jemandem im Wald unterhielt. Was, wenn dieser Jemand auch heute auf seine Chance wartete und Gerald dort alleine antraf? Mit zitternden Fingern zog Anja ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Frau Haagen, doch die Nachbarin war nicht zuhause.
Fieberhaft überlegte Anja, was sie tun konnte. Die Polizei konnte sie wohl kaum bitten, sie rüber nach Dechsendorf zu fahren und mit dem Bus würde es locker eine Stunde dauern. Dann fiel ihr Blick auf ein vorbeifahrendes Taxi, das gerade in einen nahen Taxistand einbog, und ihr Entschluss stand fest.
Am liebsten hätte sich Anja selbst hinter das Steuer gesetzt, denn offenbar hatte sie den langsamsten Fahrer der ganzen Stadt erwischt. Jeder normale Mensch fuhr wenigstens 5 km/h schneller als erlaubt, dieser nicht.
Irgendwann hatten sie es aber dennoch geschafft und bogen endlich in die Straße ein, an deren Ende ihr Elternhaus stand. Trotz des immer noch makellosen Himmels lag das kurze Waldstück fast schon dunkel vor ihnen und Anja war froh nicht alleine zu sein. Der Taxifahrer, ein junger Grieche, sah zwar nicht so aus, als könne er jemand in die Flucht
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