Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
möglich, um keinen Laut zu verursachen, und ihre geröteten Augen starrten auf die Zimmerdecke.
Wie so oft in den letzten Tagen und Nächten suchten ihre Gedanken einen Grund, oder wenigstens einen Auslöser für ihre Situation, doch da war nichts. Alles, was sie noch wusste, war, dass sie in ihrem eigenen Bett lag, welches in ihrer eigenen kleinen Wohnung stand. Ihr Zuhause war noch immer liebevoll und gemütlich eingerichtet, aber sie konnte diesen Wänden nicht mehr vertrauen. Alles, selbst die kleinsten Gegenstände waren zu einer Unsicherheit geworden. Hinter jedem Ding konnte etwas stecken, was ihr zum Verhängnis werden konnte.
Nichts hatte ihr geholfen. Er war übermächtig und sie war sich sicher, er würde wiederkommen ... ES GAB KEINEN AUSWEG!
Ihre Hand wollte den Schweißtropfen aus ihrem Auge wischen, ließ sich aber kaum bewegen. Als zogen dicke Gummibänder an ihr, löste sie die verkrampften Finger von der Zudecke und musste all ihren Willen aufbringen, um die Hand an den Kopf zu führen.
Als dies geschafft war und das Brennen in ihren Augen etwas nachgelassen hatte, schloss sie diese für einige Sekunden. Erst war das Bild zu undeutlich, dann wurde es schärfer und ihr Geist zeigte ihr den einzig möglichen Ausweg. Sie brauchte einige Sekunden, um diesen Gedanken, diesen Weg, zuzulassen, doch als dies geschehen war, schien alle Last von ihr abzufallen. Die bleierne Schwere der letzten Tage, all die Angst und Verzweiflung hatten nun keinen Angriffspunkt mehr.
Anja erhob sich wie in Trance, ließ im Vorbeigehen ihre Hände über die Blätter der kleinen Zimmerpalme streifen und bildete sich ein, dass diese ihr Mut zusprachen. Mit gesenktem Blick setzte sie einen Fuß vor den anderen, ohne dabei wie sonst das Gefühl des hochflorigen Teppichs unter ihrer Haut zu genießen.
Die Stadt hinter ihrem großen Wohnzimmerfenster war so still, wie sie es nachts um 4 Uhr immer war. Der kalte Herbstregen peitschte gegen das Glas, wobei die einzelnen Tropfen immer neue Spuren malten und einen milchigen Schleier über die Stadt legten. Anja drehte sich noch einmal um ihre eigene Achse und als wäre es abgesprochen, begannen die Lämpchen des auf stumm geschalteten Telefons zu blinken, doch es hatte seine erschreckende Wirkung verloren. Ganz im Gegenteil, jetzt gab es ihr nur noch mehr Mut.
Ein hämisch irres Grinsen legte sich über ihr Gesicht, dann blickte sie noch ein letztes Mal auf das Bild ihrer Mutter, wandte sich anschließend wieder dem Fenster zu und öffnete es.
Eine kalte Windböe, vermischt mit eisigen Regentropfen, umhüllte sie für einen kurzen Augenblick, doch die Kraft, welche ihr die Kälte abzog, gab ihr der deutlich hörbare Signalton des Anrufbeantworters wieder zurück. Ihr Blick fokussierte einen weit entfernten Punkt am Horizont, der sie zu locken schien, dann trat sie bis an das kalte Außengitter des bis zum Boden reichenden Fensters, beugte den Oberkörper darüber und gab sich erleichtert der Schwerkraft hin.
38
Um 3:30 Uhr nachts war es endlich so weit. Mike war es nicht gelungen abzuschalten und er hatte sich nur von einer Seite auf die andere gedreht, ohne auch nur eine Minute lang in den Schlaf zu finden. Irgendetwas stimmte nicht und es war zum Verrücktwerden. Immer wenn er glaubte, gerade den Fehler erfasst zu haben, war der Gedanke wieder verschwunden.
Nun blinzelte er ein wenig, um nach der Uhrzeit zu sehen, und da war es. Ausgelöst von dem Bild seiner Kinder, das neben dem Wecker stand, wusste er, warum man mit diesem Florian Engler nicht den Richtigen verhaftet hatte. Es waren die Fotos im Garten von Anja Lange, die nicht ins Bild passten. Engler war erstens zu jung und außerdem noch nicht lange genug in der Gegend, um Mikes Vergangenheit so gut zu kennen. Nein, diese Fotos hatte jemand für ihn ausgelegt, der ihn schon sehr lange beobachtete und viel von ihm wusste. Was das gleichzeitig bedeutete, war Mike mehr als bewusst. Beinahe froh, endlich aufstehen zu können, schwang er sich aus dem Bett, stieg in seine Klamotten und griff zum Telefon. Da er bei Anja Langes Handynummer nur die Ansage bekam, dass der Teilnehmer momentan nicht verfügbar war, versuchte er es mit dem Festnetz und konnte so wenigstens auf dem Anrufbeantworter die Nachricht hinterlassen, dass er auf dem Weg zu ihr sei.
Der Wagen kam nur widerwillig in Gang und als er endlich lief, musste Mike vorsichtig fahren, da der einsetzende Schneeregen langsam für sehr glatte Straßen sorgte. An
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