Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
hatte. Was machte dieser Irre, der Messerblock stand doch auf der Anrichte, was also suchte er in ihren Schränken?
Die Geräusche verstummten und er kam wieder zurück in ihr Sichtfeld, wobei er ihr einen großen Messbecher vor das Gesicht hielt, diesen dann aber wortlos neben sie auf das Bett stellte. Für einige wenige, fast schon erleichterte Augenblicke konnte sie sich keinen Reim darauf machen, was er vorhatte, bis er fragte: »Wie viel Blut darf man höchstens verlieren? Waren es eineinhalb Liter, oder doch ganze zwei?«
Begleitet von den Worten »Ach, wir werden schon sehen.« tauchte eine der Rasierklingen vor ihrem Gesicht auf, mit denen auch Gerald gespielt hatte, und ein Zittern, das auch die Droge nicht unterbinden konnte, erfasste ihren Körper.
Nun legte er die Klinge auf das Nachtschränkchen, setzte sich über sie und zog sie in eine leicht sitzende Position, wobei er alle Kissen und Decken benötigte, um ihren spannungslosen Körper zu stabilisieren. Anschließend kontrollierte er noch einmal die Kameraeinstellung, blieb kurz betrachtend vor ihr stehen und stellte erfreut fest: »Das sieht wirklich gut aus, meine Schöne. Ich hoffe, du wirst es genießen. Es soll sich anfühlen, als wenn die Kälte der Nacht langsam in deinen Körper Einzug hält. Es gibt keine Brüche, jeder Zustand fließt sanft in den nächsten.«
Innerlich schrie Anja, doch aus ihrem Mund kam nur ein kaum wahrnehmbarer Ton. Sie versuchte es mit aller Gewalt und tatsächlich zuckte ihr Kopf ein winziges Stückchen zur Seite, was er mit den Worten kommentierte: »Ah ... perfekt. Das Mittel lässt langsam nach, das wird es für dich noch interessanter machen.«
Nun setzte er sich in die richtige Position, nahm ihren Arm und tauchte die Rasierklinge langsam in ihr weiches Fleisch. Anja spürte den Schmerz, allerdings nicht sofort. Es war mehr, als würde eine heiße Flüssigkeit langsam in ihrem Arm nach oben steigen. Wieder versuchte sie zu schreien und dieses Mal war der erzeugte Ton schon etwas lauter. Wenn sie es laut genug schaffen würde, um vielleicht einen Nachbarn zu alarmieren, hatte sie vielleicht eine Chance.
In den ersten Sekunden vermied sie es auf ihren Arm zu blicken, als aber Kälte die Hitze des Schmerzes ablöste, konnte sie nicht mehr anders und war fassungslos. Der Messbecher war bereits zur Hälfte mit ihrem Blut gefüllt und sie wusste, dass dieser zwei Liter fasste. Bis jetzt hatte sie den Gedanken verdrängt, aber das immer weiter herauslaufende Blut ließ keinen Zweifel, dies waren die letzten Minuten ihres Lebens. Sie spürte, wie sich ihr Herz bemühte, den Blutdruck aufrechtzuerhalten. Schwindel stieg in ihren Kopf und eine ihre unbekannte Kälte breitete sich in ihrem Körper aus. Gänsehaut überzog jeden Zentimeter ihrer Haut und öffnete damit sämtliche Poren, die im Widerspruch zu dem Gefühl der Kälte feine Schweißtropfen bildeten. Anja fiel es schwerer und schwerer, ihre Augen offen zu halten, aber sie wollte doch leben. Dann drückte er zu und beendete den Blutfluss.
Anja schaffte es, bei Bewusstsein zu bleiben, musste dadurch aber miterleben, wie er begann, sie mit seiner Nase in sich aufzunehmen. Immer noch ihre Wunde zusammendrückend, schob er sich auf sie, roch gierig an ihrer Haut, murmelte dabei immer wieder: »So schön kalt ... kalt wie Nachttau in den Gräsern ...«, wobei er mit dem Finger fast schon liebevoll über einzelne Tropfen ihres Schweißes strich, bis sich mehrere zusammenfügten und an ihrer Haut herunterliefen, wobei sie eine feine Spur hinterließen, die er mit seiner Nase nachverfolgte. Dabei murmelte er wieder: »So schön kalt ...«
Anja hatte keine Ahnung, wie lange das so weiterging, denn ihr Bewusstsein hatte längst aufgegeben ihm zu folgen. Irgendwann ließ er noch einmal etwas Blut in das fast volle Gefäß laufen, doch ihre Reaktion blieb dieses Mal aus. Anja spürte keine Angst mehr, irgendetwas in ihr schien sich mit der Endlichkeit abgefunden zu haben. Wie zum Trotz schlossen sich ihre Augen und ihre Seele tauchte ein in eine Welt voll Frieden und Stille.
37
Es war kein wirkliches Erwachen, mehr der Wechsel von einem dämmrigen Bewusstseinszustand zurück in die Abgründe der Realität. Dieses Mal hatte diesen Wechsel kein Geräusch ausgelöst, sondern war durch einen Schweißtropfen verursacht worden, der sich in Anjas Auge verirrt hatte. Ohne es bewusst zu tun, verkrallten sich ihre eiskalten Hände in der Zudecke, ihr Atem wurde so flach wie
Weitere Kostenlose Bücher