Nachtklinge: Roman (German Edition)
wurden immer noch vor dem Bankettsaal von Rosalie bewacht. Sie nickte Tycho kurz zu, doch er sah an ihr vorbei.
»Ich wusste, du würdest kommen«, sagte Giulietta.
49
A lexas Blick wanderte von Marco zu dem Mädchen in dem schmutzigen Kleid, das vor Gräfin Eleanor kniete. In einer Hand hielt die Unbekannte ein Messer, in der anderen das, was von Gräfin Eleanors Seidenkleid übrig war. Sie warf die Stofffetzen auf den Boden und drückte die Finger auf die blutende Wunde.
»Wer ist sie?«
»M-meine Freundin.«
Die Füße des Mädchens starrten vor Schmutz, ihr Kleid war bis zu den Knien zerrissen. Alexa fragte sich, auf welchem Wege sie in das frühere Schlafzimmer von Eleanor und Giulietta gelangt war. Vermutlich hatte Marco dabei seine Finger im Spiel gehabt.
»Sie sieht irgendwie …«
Vertraut aus,
wollte Alexa sagen.
Das Mädchen funkelte sie böse an, als habe Alexas Stimme sie gereizt und als schere es sie keinen Deut, dass sie die Dogaressa war. Sie nahm den Pfeil, umfasste den Schaft und zog ihn entschlossen aus der Wunde, ohne um Erlaubnis zu bitten. »Gut g-gemacht«, ließ sich Marco vernehmen.
Er saß auf der Türschwelle, die Knie unters Kinn gezogen.
Bediensteten war der Eintritt verwehrt, nur Alexa hatte es gewagt, über ihn zu steigen. Als sie ihn aufgefordert hatte, sich von der Stelle zu rühren, hatte er nur eigensinnig den Kopf geschüttelt. »Ich w-warte.«
»Worauf?«
»Auf Engel.«
Prinz Frederick befand sich in Sicherheit auf seinem Schiff. Dafür war die Dogaressa dankbar. Ein Mordanschlag auf den Sohn des deutschen Kaisers war schon schlimm genug, nicht auszudenken, welche Folgen sein Tod heraufbeschworen hätte. Sigismund würde jedenfalls vor Zorn außer sich sein, sobald er davon erfuhr.
Leopold, sein älterer Sohn, war im Kampf an der Seite Venedigs gefallen. An diesem Abend hätte er beinahe seinen zweiten Sohn in Venedig verloren. Er würde Alexa und Alonzo verantwortlich machen.
»Wo ist der s-schaurige Dr. C-c-crow?«
»Tot«, sagte das Mädchen, ohne sich umzudrehen.
Marco klatschte in die Hände. »Woher weißt du das?«
»Ich weiß es eben.« Ohne weitere Worte wusch sie Eleanors Wunde mit kaltem Wasser. Aus dem Mund der Verletzten rann schwarzes Blut, klebrig wie Sirup.
»Der Pfeil war vergiftet«, sagte das Mädchen.
Und woher weißt du das?,
fragte sich Alexa.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl, ging zum Bett und legte Eleanor die Hand auf die Stirn. Sie atmete tief ein und nahm etwas Saures unter dem Schweiß war. Sie betupfte das Blut und kostete. Die Unbekannte blickte sie herausfordernd an, als wolle sie die Dogaressa an etwas erinnern.
»Meine Liebe.« Warum hatte Alexa das gesagt?
Das Mädchen lächelte, aber ihr Lächeln verflog, als sie Eleanor von Neuem ansah. Der Zorn in ihren Augen ließ Alexa erschauern.
»Mit Gift kenne ich mich aus«, sagte Alexa freundlich.
»Und ich weiß alles über Blut«, erwiderte das Mädchen.
Dann trat es zurück und gab den Platz am Bett der Verletzten frei.
Man hatte Gräfin Eleanor mit einer Mischung aus Belladonna, Eisenhut und Fingerhut vergiftet. In der Pfeilspitze würde man feine, mit einer Paste gefüllte Bohrungen finden, davon war Alexa überzeugt.
Plötzlich herrschte Tumult vor der Tür.
Die Wachposten zückten hastig die Schwerter, doch der Neuankömmling stieß sie einfach zur Seite. Seine Augen waren schwarz mit bernsteinfarbenen Flecken. Sein wolfsgraues, geflochtenes Haar war an den Zopfenden mit stählernen Kappen geschmückt.
Zorn ballte sich wie eine finstere Wolke um ihn zusammen.
Alexa war froh, dass nur sie die schimmernde Dunkelheit wahrnahm, die ihn umfloss. Bis auf das Wams, ein Teil aus der Livree der Millioni, das er sich über die Schulter geworfen hatte, war er schwarz gekleidet. An seiner Seite trat ihre Nichte ein. Er hielt ihre Hand so fest, dass Giuliettas Fingerknöchel weiß hervortraten.
Dogaressa Alexa begriff, warum die Wachposten gezögert hatten.
Marco war aufgestanden und umarmte seine Cousine. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, das sie erröten ließ. Dann richtete er den Blick auf Tycho und umfasste seine Schulter. Alexa hatte noch nie erlebt, dass ihr Sohn seinem Vater so sehr glich.
»Ohne diesen Mann wäre ich nicht mehr am Leben«, erklärte der Doge.
»Marco!«
»Glaub es mir, Mutter.«
Er ließ Tycho los und trat ins Zimmer. Er ging auf die zerlumpte Unbekannte zu, drehte ihr Gesicht ins Licht und musterte sie lächelnd. »Ich bin Marco.«
Er schwieg
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