Nachtklinge: Roman (German Edition)
Eltern …« Sie stockte. »Es hätte sie glücklich machen sollen, hier zu leben. Sie war froh, als sie ihr Elternhaus verlassen konnte und ich …« Sie stockte erneut und Tycho wartete.
»Ich wollte Tante Alexa mit niemandem teilen und habe es an Eleanor ausgelassen. Ich frage mich, wieso du dich überhaupt in mich verliebt hast.«
»Giulietta.«
»Ich meine es ernst. Eleanor ist netter, hübscher und freundlicher als ich.«
Er lächelte wider Willen. »Aber sie ist nicht du.«
Giulietta behauptete, sie sei zu schwer, als er sie auf seinen Schoß hob, dabei war sie leicht wie eine Feder. Er wurde bald zurechtgewiesen, sich keine Freiheiten herauszunehmen, und zu seiner eigenen Überraschung hielt er sich auch daran. Beinahe.
Noch vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen.
Er hatte Kontrolle über sich gewonnen. Sie hielt ihn davon ab, das Blut Sterbender zu trinken, dank ihrer konnte er sich abwenden, wenn Blut floss, wie im Festsaal. Er konnte gelassen auf die Lagune hinausschauen und ihr zuhören, während seine Hände ihre Hüften umfassten und sie sich auf seinem Schoß bewegte. Der Duft, den sie verströmte, war voller Widersprüche.
Es gab so vieles, was er ihr sagen, und genauso vieles, was er ihr lieber verschweigen wollte. Vermutlich war das zwischen Liebenden nichts Ungewöhnliches, falls man das, was zwischen ihm und Giulietta war, als Liebesgeschichte bezeichnen konnte. Seine Liebe zu ihr war geradezu ein Spiegelbild der angespannten Lage. Man würde mit dem Zorn des deutschen Kaisers rechnen müssen, und er selbst, Tycho, galt offiziell immer noch als Ausgestoßener.
Als er ihr das sagte, fing sie an zu lachen.
Die neuen Wachposten vor Eleanors Krankenzimmer wussten offenbar weder Bescheid, dass Tycho das Leben des deutschen Prinzen gerettet hatte, noch dass er sich frei im Dogenpalast bewegen durfte. Seine neue Kleidung verschaffte ihm jedoch einen gewissen Respekt.
Tycho trug die Uniform eines Hauptmanns der Palastwache.
»Herr, Ihr dürft nicht …«
»Doch«, erklärte Marco. »Er d-darf.«
Marco erhob sich vom Boden, und Tycho fragte sich, ob er als Einziger bemerkt hatte, dass das Stottern und die Zuckungen des Dogen fast verschwunden waren. Es war allerdings ungewiss, ob dieser Zustand von Dauer sein würde. Giulietta hatte ihm von ihrem erstaunlichen Gespräch mit Marco und dessen grimmiger Intelligenz berichtet.
»Ist das Eure neue Kleidung?«
»Nur vorübergehend, Giulietta hat sie für mich ausgesucht.«
»Sie steht Euch.«
»Hoheit, wie ich gehört habe, gibt es einen Gefangenen?«
»Man hat zumindest einen Gefangenen an der Flucht gehindert, glaube ich.«
»Erlaubt Ihr mir, den Mann zu befragen?«
»Natürlich.« Marco zögerte. »Ich bin froh, dass Ihr Giulietta gern habt. Ihr w-werdet sie gut behandeln, nicht wahr?« Für den Dogen schienen die Wachposten, die alles hören konnten, nicht zu existieren. »Wollt Ihr zuerst mit meiner M-mutter sprechen?«
Tycho nickte, und Marco klopfte höchstpersönlich an die Tür.
Alexa verbrannte Kräuter in einem kleinen Feuer, und schwerer Duft erfüllte das Krankenzimmer. Als Tycho eintrat, zog sie rasch den Schleier vors Gesicht und drehte sich gereizt um. Dann erst bemerkte sie seine Uniform und nickte.
»Keine schlechte Verkleidung.«
Rosalie kniete an Eleanors Bett, neben sich eine silberne Schale, und betupfte die Kranke mit einem Schwamm. Als sie Eleanors Blöße bedecken wollte, schüttelte die Dogaressa den Kopf.
Die Verletzte war fast noch ein Kind.
Das Mädchen daneben sah nicht viel älter aus. Die eiserne Entschlossenheit, mit der sie den Körper der Freundin kühlte, ließ sie erwachsener wirken, doch Tycho sah ihre Kindlichkeit. Er wandte sich ab. Die Dogaressa sah ihn durchdringend an. »Wir müssen uns unterhalten.«
»Später, Dogaressa. Zuerst muss ich ins Verlies.«
»Willst du etwa schlafen, während sie hier ihr Leben riskiert?« Alexa deutete auf die geschlossenen Vorhänge. Rosalie war jedem ausgeliefert, der Tageslicht hereinließ oder die Tür öffnete. Tycho war jedoch fest davon überzeugt, dass Alexa das nicht zulassen würde.
»Der Doge hat mir die Erlaubnis erteilt, den Gefangenen zu befragen.«
»Der Doge …?«
Tycho nickte.
»Dann erwarte ich, dass du mir Antworten bringst.«
Ich werde meine Antworten Marco überbringen – falls er morgen noch derselbe ist. Falls nicht, sind die Antworten für Euch bestimmt.
Als Tycho die Tür hinter sich schloss, hörte er das Klicken des
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