Nachtklinge: Roman (German Edition)
recht«, sagte er. »Darauf verstehst du dich wirklich gut. Ausgezeichnet. So ist es sogar noch besser.«
Der Vorschlag des Regenten war einfach. Tycho sollte seiner Nichte den Hof machen. Gemeinsame Erfahrungen, geteiltes Leid und seine Freundschaft mit ihrem verstorbenen Gatten brachten sie einander nahe.
Er sollte sie überzeugen, seinen Antrag anzunehmen, und der Regent würde diskret streuen, dass Tycho der Vater des Kindes sei. Das war natürlich ein schlimmer Fehltritt Giuliettas, aber da ganz Venedig davon überzeugt war, dass Tycho selbst der Bastard eines Prinzen war … Zudem kursierten Gerüchte über eine Liebschaft der beiden an Bord der
San Marco.
»Der Rat der Zehn wird meine Nichte auffordern, in die vorgeschlagene Heirat mit dem deutschen Prinzen einzuwilligen. Wir warten eine Woche, bis sie völlig verzweifelt ist. Dann betrittst du die Bühne. Natürlich erfordert diese Aufgabe ein Höchstmaß an Fingerspitzengefühl. Ich verlasse mich auf dich.«
Er? Feinfühlig? In Giuliettas Gegenwart?
Seine Zunge verwandelte sich bei ihrem Anblick jedes Mal in Blei.
Wenn Alonzos Plan gelang, würde Sigismund das Interesse an seinem vermeintlichen Enkel verlieren. Tycho würde in der Gunst des Regenten stehen und die Stufen der venezianischen Gesellschaft bis ganz nach oben klettern. Man würde seinen Name in das Goldene Buch der Stadt eintragen, und damit wäre er berechtigt, dem großen Rat beizutreten, wie es sich für den Gatten einer Millioni-Prinzessin schickte. Seine Zukunft wäre gesichert, eine großartige Zukunft, mit dem Regenten als Freund. Eine Zukunft, in der Alonzo seine Nichte durch ebendiesen neuen Freund kontrollieren konnte.
Als er sich auf den Heimweg machte, wirkten die Gassen in der Nachmittagssonne vertraut und fremd zugleich. Der Regent schien zu glauben, Tycho habe seinem Plan zugestimmt. Alonzo war zweifellos ein Lügner, selbstverliebt und hinterhältig. Aber er hatte Tycho soeben angeboten, was er mehr als alles andere auf der Welt begehrte – Giulietta.
Vielleicht hatte er dem Plan ja tatsächlich bereits zugestimmt.
20
H ast du von diesem Dämon gehört?«
Tycho musterte Atilos Pagen. Der Junge war gewachsen und kräftiger geworden. Das Training mit Atilo hatte ihm eine muskulöse Gestalt verliehen, und Gräfin Desdaio sorgte dafür, dass er ordentlich zu essen bekam.
»Weiß dein Meister, dass du hier bist?«
Der Junge blieb stehen, scharrte einen Moment mit den Füßen und ging weiter. Graf Atilo hatte also keine Ahnung von diesem Besuch.
»Gräfin Desdaio weiß Bescheid.«
»Ach ja?«
Pietro nickte heftig. In seinem Blick lag tiefe Verehrung.
»Sie hat gesagt, der Meister sei beschäftigt und ich solle ihn nicht mit allem, was ich tue, behelligen.«
Als angehender Assassine hatte der Junge jeden zweiten Samstag frei. Tycho hätte sich denken können, dass er vor seiner Tür stehen würde. »Heute Abend ist Graf Atilo jedenfalls im Zehnerrat.«
Pietro war anzuhören, wie stolz er war, einem Mitglied des Zehnerrates zu dienen. Für einen ehemaligen Straßenjungen war das ein gewaltiger Aufstieg, und er hatte ihn Tycho zu verdanken. Ob er wollte oder nicht, der Junge betrachtete ihn als Freund.
»Bespricht der Rat Sigismunds Angebot?«
»Ja. Mein Meister ist nur noch selten zu Hause.«
Atilo scharwenzelte also um Dogaressa Alexa herum, die ihn aus ihrem Bett verbannt hatte? Hoffentlich wusste Desdaio nichts von diesem Verhältnis. Sie ertrug die Verachtung der Venezianer nur aus Liebe zu Atilo, er war ihr Fels in der Brandung. »Steht der Termin für Graf Atilos eigene Hochzeit schon fest?«
Pietro kniff die Lippen zusammen.
Der Junge war seinem Meister gegenüber loyal und verehrte Desdaio. Er hätte ihr Sohn sein können. Seine Zuneigung zu Tycho brachte ihn in die Zwickmühle.
»Schon in Ordnung, du musst mir nichts erzählen «, sagte Tycho beschwichtigend.
Kurz darauf waren in einem Gässchen Schritte zu vernehmen, die ihre eigenen wie ein Echo zurückwarfen. Tycho zählte stumm bis fünfzig.
»Verfolgt uns jemand?« Bevor Pietro sich umdrehen konnte, hielt Tycho seinen Kopf fest. Vor ihnen führte eine Brücke über den Rio di San Felice zu Giuliettas Haus. Die Gegend war belebt, gerade kam ein Schwall von Nachtschwärmern aus einer Schenke.
»Geh weiter.«
Der Junge gehorchte. Eine Kirchentür öffnete sich zu ihrer Rechten und zahlreiche Familien strömten aus der Abendmesse. Tycho rief Pietro barsch beim Namen, versetzte ihm eine Kopfnuss
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