Nachtklinge: Roman (German Edition)
Dann schwang er sich von einem Balkon zu ihnen herunter, und Pietro kam aus einem schmutzigen Tunnel gekrochen, der zur Zisterne geführt hatte.
»Was macht der denn hier?«
»Er ist mein Diener.«
Alexa traf als Letzte in ihrer rot lackierten Sänfte ein. Die Samtvorhänge waren dicht zugezogen. Die beiden mongolischen Träger setzten sie ab und zogen sich stumm an den Rand des Platzes zurück. Alexa schob die Vorhänge zurück, öffnete eigenhändig die zierliche Holztür und trat auf die zerbrochenen Pflastersteine.
Sie sagte kein Wort, sondern beschränkte sich auf einen Blick zum Horizont, den die Sonne in Kürze verfärben würde. Dann sah sie zu Tycho hinüber. Er nickte. Er hatte die schützende Salbe aufgetragen. Sobald der letzte Rest aus dem Tiegel verbraucht war, konnte er nicht einmal mehr schwache Sonnenstrahlen ertragen.
»Da bist du ja endlich«, stellte Alonzo fest, als würden sie schon seit Stunden warten.
Auf ein kurzes Nicken des Regenten hin ließ Roderigo seine Männer im Kreis Aufstellung nehmen und die Fackeln heben.
»Hier handelt es sich um eine Ehrensache.«
Graf Roderigo nickte etwas verwundert. Da er dem Rat der Zehn nicht angehörte, konnte er nicht wissen, dass Iacopo die Klinge des Dogen war. Vermutlich fragte er sich, wieso sich die Regenten überhaupt mit solchen Lappalien abgaben.
»Es gelten die bekannten Regeln«, fuhr Alonzo fort. »Ihr kämpft, bis einer von euch um Gnade fleht. Andernfalls endet der Kampf mit dem Tod des Gegners.« Er blickte zu Iacopo, der nickte.
»War’s das?«, fragte Tycho.
Der Regent nickte.
»Gut!«
Tycho ließ sein Schwert kreisen.
Iacopos neuer Helm fiel herab, und er stolperte über einen zerbrochenen Pflasterstein. Das Schwert prallte von seinem Brustpanzer ab und flog wie ein Geschoss auf einen der Wachmänner zu, der sich mit einem Sprung in Sicherheit brachte. Derweil hatte Tycho seinem Gegner bereits den Fuß auf die Schwerthand gesetzt. Alles ging so rasch, dass Iacopo nicht einmal Zeit blieb, um aufzuschreien. Tycho entriss ihm das Schwert und holte aus.
»Halt!«, brüllte Alonzo. »Das war Betrug.«
»Ihr habt gesagt, der Kampf kann anfangen.«
»Lass augenblicklich die Waffe sinken!«
»Wie lange wird er Eurer Meinung nach als Klinge des Dogen überleben?«
In Iacopos Miene spiegelten sich Scham und Zorn. Er zweifelte offenbar ebenfalls an seinen Fähigkeiten. Eitelkeit, Stolz und Zweifel waren eine gefährliche Mischung. Iacopo befühlte die Kerbe, die Tychos Hieb auf seinem Brustpanzer hinterlassen hatte. Seine finstere Miene verriet, dass er sich kein zweites Mal derart überraschen lassen würde.
»Tretet zurück.«
Tycho schleuderte Iacopo verächtlich das Schwert vor die Füße, packte sein eigenes und reckte es hoch über den Kopf, genau wie Atilo es ihn gelehrt hatte. Die Wachleute ringsum standen still, und sogar Alexa hielt den Atem an.
»Fangt an.«
Diesmal griff Iacopo mit einem mächtigen Schlag gegen Tychos Seite an.
Die Klingen prallten aneinander, und Schmerz strahlte in Tychos Arm aus. Ein brutaler Schlagabtausch folgte, die Mauern des Platzes warfen das Waffengeklirr zurück. Im Schein der Fackeln wirbelten die glänzenden Schwerter. Iacopo hätte seinen Angriff weitertreiben sollen, zog sich jedoch keuchend zurück.
Wieder hob Tycho die Waffe, legte stützend den Arm darunter und zielte auf Iacopos Lende. Die Klingenspitze fuhr knirschend über den unteren Rand der Brustplatte, und der Narr tat, was Tycho gehofft hatte: Er blickte nach unten.
Als er aufsah, rammte Tycho ihm bereits den Ellbogen gegen die Kehle. Alonzos Protestgeheul konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er wusste, wer der Sieger war.
Iacopo wich zurück. Sein Atem rasselte. Das Schwert in seiner Hand baumelte nutzlos. Er versuchte, etwas zu sagen.
»Ich kann dich nicht verstehen.«
»Er ergibt sich.«
Tycho überhörte Roderigos Ruf. »Du hast Lügen über Desdaio erzählt. Du hast Atilo dazu gebracht, sie umzubringen. Du hast erzählt, Amelia sei meine Dirne und der Junge mein Lustknabe. Du hast dein Amt von einem besseren Mann gestohlen.«
Iacopo hatte die Waffe fallen lassen. Seine Lippen formten stumme Worte. Es war unverkennbar, dass er sich ergab.
»Ich kann dich nicht verstehen.«
»Tycho!«, setzte Alexa an.
Doch Tycho hatte sich schon um die eigene Achse gedreht und schlitzte mit der Spitze seines Schwerts Iacopos Kehle auf. Bevor das Blut in einem mächtigen Schwall aufspritzte, hatte er sich
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