Nachtkrieger
einen Teil ihrer Angst. Sie stach die Nadel in ein Knäuel Wolle und erhob sich. »Wollen wir sehen, mit welchen Unannehmlichkeiten die Männer sich heute herumschlagen mussten?«
Wie sich herausstellen sollte, mit gar keinen. Alle waren mit ihrer Arbeit gut vorangekommen. Edric und seine Leute konnten mit einem Dutzend neuer Löffel aus Horn aufwarten, darüber hinaus mit einem Messergriff aus Knochen und einer hölzernen Spinnwirtel, die die alte ersetzen sollte, die vor dem Weihnachtsfest zerbrochen war. Der Stallmeister präsentierte zwei geflickte Paar Zaumzeug und einen neugeflochtenen Sattelgurt, bevor er mit Tom zurück in den Stall ging, um die Pferde zu füttern.
Von Ivo und Brand war nichts zu sehen, weder als der Stallmeister zurückkam noch als alle mit gewaschenen Händen an ihren Tischen saßen. Alle warteten, während das Essen allmählich kalt wurde. Geistesabwesend spielte Alaida mit ihrem Schlüsselbund und zog bereits in Erwägung, die Tafel zu eröffnen. In dem Moment wurde die Tür aufgestoßen. Ein kalter Wind wehte herein, und mit ihm stürmten Ivo und Brand herein. Triefend nass schüttelten sie sich das Wasser aus dem Haar.
»Holt trockene Kleidung!«, befahl Alaida. Sogleich eilte einer der Dienstboten davon, und sie winkte den nächsten herbei. »Ich hatte dem Koch aufgetragen, warmen Met bereitzuhalten. Bring etwas davon her, aber schnell!«
Ivo und Brand gingen hinüber zur Feuerstelle und reichten ihre nassen Umhänge und Handschuhe den Mägden, damit diese sie zum Trocknen aufhängen konnten. Der vollkommen zerzauste Rabe wurde auf seine Stange gesetzt, und die beiden Männer schälten sich aus ihren durchnässten Cotten und Leibhemden.
Als Ivo sich bis auf seine Bruche auszog, fiel Alaida auf, wie vertraut ihr sein kräftiger Körper bereits war. Jeden Muskel und jede Narbe hatte sie bereits berührt. Als der Knecht mit trockener Kleidung erschien und Ivo ein frisches weißes Hemd anzog, ertappte sie sich dabei, wie sie sich unwillkürlich mit der Zunge über die Lippen fuhr, als habe sie eine saftige Hammelkeule vor sich.
Errötend wandte sie den Blick ab, griff nach zwei Handtüchern und brachte sie Ivo und Brand. »Trocknet Euch damit das Haar, sonst werdet Ihr Euch erkälten.«
»Zu spät, My Lady«, sagte Brand, nahm ihr aber dennoch eins der Tücher aus der Hand. »Ich bin nass bis auf die Knochen. Das Wetter ist geradezu unmenschlich.«
»Dann wundert es mich umso mehr, dass Ihr den ganzen Tag draußen verbracht habt.« Schon in dem Moment, als sie sie aussprach, wusste sie, dass ihre Worte kritischer klangen, als sie es beabsichtigt hatte. Und als Ivo sich zu ihr umdrehte, um ihr das zweite Tuch abzunehmen, sah sie an seinem Gesichtsausdruck, dass er ihr übelnahm, was sie gesagt hatte.
»Frau.« Es klang nach Begrüßung und Warnung zugleich.
»Willkommen zu Hause, My Lord«, sagte Alaida lächelnd, während er sich das Haar abtrocknete. Doch angesichts seines barschen Tons ritt sie abermals der Teufel, und so fragte sie: »War die Jagd erfolgreich?«
Er hielt inne und sah sie abschätzend an. »Nein.«
»Nun ja, vermutlich haben die meisten der wilden Tiere …«,
genug Verstand,
hätte sie beinahe gesagt, besann sich aber eines Besseren, »… einen Unterschlupf, um sich vor dem Regen zu schützen.« Sie wies auf den Raben, der jämmerlich auf der Eisenstange kauerte, auf der einst der Falke ihres Großvaters gehockt hatte. »Abgesehen von diesem armen Vogel, der aussieht, als hätte er unter einem Wasserfall Schutz gesucht.«
Brand zog sich die Cotte über den Kopf und sagte: »Ich kann Euch versichern, My Lady, er hatte es die meiste Zeit des Tages warm und trocken.«
»Im Gegensatz zu uns«, fügte Ivo mürrisch hinzu und warf einer der Mägde das nasse Tuch zu. »Wo zum Teufel bleibt der Met?«
Kurz darauf wurde das heiße Getränk gebracht, und wie sich herausstellen sollte, war es das Einzige, was noch warm war. Das Essen war kalt und – wie Alaida bestürzt feststellen musste – der Ton ihres Gemahls ebenso. Der Krieger, der innerhalb von zwei Nächten ihr Herz erobert hatte, zeigte ihr die kalte Schulter. Während des Essens unterhielt er sich fast die ganze Zeit mit Brand und beschränkte sich ihr gegenüber auf die allernötigsten Höflichkeiten. Keine wie zufällig erscheinenden Berührungen, die ihr die Sinne raubten, keine begehrlichen Blicke, die sie beinahe zerfließen ließen, und keine schmeichelnden Worte oder anzüglichen Bemerkungen,
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