Nachtkrieger
Morgentau tropfe von seiner Mähne herab. Mein Pferd heißt Kraken. Das ist der Name eines Ungeheuers. Also nimm dich in Acht – es beißt.«
»Aye. Gestern Abend hat es mich schon gezwickt.« Tom zog einen Ärmel hoch und entblößte einen dicken Bluterguss am Unterarm. Doch er schien keinerlei Groll gegen das Pferd zu hegen.
»Eine schlechte Angewohnheit«, sagte Brand. »Aber dafür ist es schnell wie der Wind. Selbst mit mir auf dem Rücken, und das will schon etwas heißen.«
»Aye,
Messire.
« Tom hielt Krakens Zügel, während Brand den Sattelgurt festzog und aufsaß. Dann ging er hinüber zu Fax, um für Ivo die Zügel zu halten. »Einen guten Ritt, My Lord.«
»Mm«, brummte Ivo abermals. Mit finsterem Blick beobachtete er den Raben, wie er sich auf Brands Schulter setzte – vorsichtshalber auf die andere Seite, weit weg von Ivos Hand. »Wache!«
Ivo und Brand ritten in Richtung Süden, nachdem sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, weiter in Richtung Westen, mitten durch Moor und über Wiesen, um den unebenen Waldboden zu meiden, bis der Nebel sich gelichtet hatte.
Nachdem sie ein gutes Stück des Weges zurückgelegt hatten, sagte Brand mit tonloser Stimme: »Du hast es nicht getan, oder? Mit ihr, meine ich. Deshalb bist du so grimmig.«
»Ich habe es nicht getan«, stieß Ivo zwischen den Zähnen hervor. »Und ich werde es nicht tun.«
»Gut.«
»Aber wir werden bleiben.«
Brand dachte einen Moment lang nach. Dann sagte er: »Du hast einen steinigen Weg gewählt, Graurock.«
»Er wird mit jedem Tag weniger steinig sein.«
»Nein, das wird er nicht. Wenn du dir nicht all deine Leute zu Feinden machen willst, solltest du zusehen, dass du dich im Griff hast.«
»Ich werde mich ›im Griff‹ haben«, sagte Ivo und machte eine eindeutige Handbewegung, »und zwar bei nächster Gelegenheit. Wie du sagst: Sie ist lediglich eine Frau. Ich musste lange genug ohne sein.«
»Aye. So wie wir alle und es weiterhin müssen. Zwangsläufig.« Brand stieß einen tiefen Seufzer aus. »Reiß dich zusammen, Mann. Einige von uns haben sich ein Beispiel an dir genommen und wagen sich ebenfalls wieder unter Menschen. Verdammt! Wie soll ich ihnen nur klarmachen, dass sie niemals eine Frau haben dürfen?«
»Genauso, wie du es mir klargemacht hast«, antwortete Ivo und dachte an seine Frau, die einsam in ihrem Bett lag. Dann ritt er auf den Wald zu, der ihm gleichermaßen Schutz und Gefängnis war.
Er hatte ihr nicht weh tun wollen, rief Alaida sich ins Gedächtnis, als sie sich an ihre Arbeit machte. Ein so fürsorglicher Ehemann war eine Seltenheit. Etwas Gutes.
Warum also machte es ihr dann derart zu schaffen, dass er sie nicht angerührt hatte? Und das, wo sie ihn ursprünglich überhaupt nicht gewollt hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn nun wollte, insbesondere, da er nur des Nachts heimkehren würde, um sich mit ihr zu vergnügen. Nein, so war es nun auch wieder nicht. Er hatte Sorge dafür getragen, dass auch sie Vergnügen empfand. Bei allen Heiligen, das hatte er! Und er war keineswegs so grob gewesen, wie sie befürchtet hatte. Aber die Tatsache, dass er sich weigerte, ihr zu sagen, warum er jeden Tag in aller Frühe fortmusste, und sein merkwürdiges Verhalten in der vergangenen Nacht brachten sie vollkommen aus der Fassung. Doch schließlich hatte er ihr nicht weh tun wollen.
Immer dieses Aber!
Den ganzen Tag lang fühlte sie sich hin- und hergerissen, beinahe so, als wäre sie den Windböen ausgesetzt, die draußen tobten. Es war ein furchtbar kalter Tag, und der Wind hatte eisigen Regen gebracht. So erteilte Alaida die Anweisung, sämtliche Feuer zu schüren, um die Feuchtigkeit zu vertreiben, und weitere Fackeln und Kerzen aufzustellen, damit die Menschen, die im Haus arbeiteten, genügend Licht hatten.
Als der Regen ein wenig nachließ, hüllte sie sich zum Schutz gegen den strengen Wind in einen wärmenden Umhang und ging in die Küche, um nach den Vorbereitungen für die Abendmahlzeit zu sehen und sich zu vergewissern, dass dem Koch alle nötigen Gewürze zur Verfügung standen. Auf dem Weg zurück ins Haupthaus traf sie auf Wat. Mit gesenktem Kopf lief er gegen den Wind an. Er hatte seine Kapuze so tief ins Gesicht gezogen, dass sie ihn beinahe nicht erkannt hätte.
»Guten Tag, Wat.«
»Tag, My Lady«, murmelte er vor sich hin und war bereits im Begriff, an Alaida vorbeizueilen. Er klang eigenartig, ganz so, als spräche er mit vollem Mund. Und er sah irgendwie
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